"Ach meine Jungfernreise um den Preis einer Vorsilbe."

 

Reschitza, Bukarest, Frankfurt am Main Rolf Bosserts Gedichte der Zerrissenheit

von Dr. Thomas Krause

Chemnitz / BRD
Am 17. Februar 1986 wählt der Autor Rolf Bossert den Freitod. Der Sturz des 34-jährigen aus einem Haus in Frankfurt am Main ist selbst für die Bildzeitung eine Schlagzeile wert, die Bossert mit Deutscher Dichter sprang aus dem Fenster" fast als eine der ersten zum deutschen Autor erklärt. Ironie des Schicksals, daß gerade eine Zeitung der Yellow Press" einen, oft in der Bundesrepublik bestaunten, aber manchmal nicht verstandenen Autor, mit seinen deutschen Wurzeln hervorhebt. Vielleicht aus Unkenntnis oder dem schnellen Tagesgeschäft geschuldet? Heute, mit einem Abstand von über 14 Jahren, fragt man sich dennoch, warum der Nachruhm dieses begabten Autors aus dem Banat so schnell verblaßt ist. Sind anfänglich seine Texte relativ häufig rezipiert worden, finden wir bei einem Blick in die Literaturspalten der Tageszeitungen eine starke Auseinandersetzung mit dem Schicksal des Autors, scheint er jetzt aus dem Blickfeld der bundesdeutschen Leser entschwunden zu sein. Selbst der Nachdruck seiner wenigen Texte findet kaum noch statt, obwohl bereits 1986 der beachtenswerte Sammelband Auf der Milchstraße wieder kein Licht"1, eingeleitet und betreut von Guntram Vesper und Gerhardt Csejka, erschienen ist. Eigentlich waren die Voraussetzungen gut: Selten ist in den letzten Jahrzehnten die Ausreise eines Autors Ost- und Südosteuropas - mit Ausnahme von Herta Müller und Richard Wagner - von solch starker Medienaufmerksamkeit begleitet worden. Womit ist aber das relative Vergessen Rolf Bosserts in der Bundesrepublik zu erklären? Anders, provokativ gefragt: Wenn man von der These ausgeht, daß durch die Alterität eines Textes innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes sich die ästhetische Qualität beweisen würde, ist dann Rolf Bossert ein Autor der 70er und 80er Jahre" und mit seinen Themen und Problemstellungen heute zu Recht vergessen? Sie bemerken, wie komplex die Fragestellungen sind. Diese Provokationen" sollen meinen Überlegungen als Ausgangspunkt dienen.
Bossert, geboren am 16.12. 1952 in Reschitza, studiert nach Beendigung der Schule ab 1971 Philologie (Deutsch und Englisch) in Bukarest. Seine Herkunft aus dem multiethnischen Banater Bergland soll, das möchte ich vorausgreifen, noch lange eine Rolle in seinen Gedichten spielen. Beispielsweise im Lyrikband siebensachen"2, 1979 in Bukarest veröffentlicht, aber auch in seinen ersten Textveröffentlichungen finden sich etliche Bezüge zu seiner Heimat. Wichtig ist dabei, daß Bossert seine Heimatregion nicht nur mit poetischen Beschreibungen aufnimmt, sondern auch den Dialekt der Deutschen in Reschitza in den Text montiert oder sogar als stilbildendes Mittel einsetzt. Interessant ist dabei das vermutlich 1975 geschriebene, 1976 in der Zeitschrift Akzente" veröffentlichte Reschitza. Ein Dialektgedicht": mir eß magemihs aus neiarad krumpirn vun di pema
kukuruz vun di oltenjamir mach malokomotiven fir die arada waggenafunikulars firn semenikturbinan firs aisani turpai uns fließtraki vun ibarallstahl fir alliun ti bersawa noch imma ten peag unda
(S, 9)3
Oft wird Bossert der Aktionsgruppe Banat" zugeordnet. Aber erst 1972 macht Gerhardt Cejka, der als Redakteur der Neuen Literatur" arbeitet, bei einer Lesung von Richard Wagner im Bukarester deutschen Literaturkreis im Schriftstellerhaus Mihail Sadoveanu" den Autor mit Wagner bekannt. Er arbeitet dann zwar relativ schnell in der Aktionsgruppe Banat" mit, wird jedoch, wegen der Entfernung Bukarest - Banat, als korrespondierendes Mitglied" bezeichnet. Zwischen 1974 und 1975 ist er hier als Leiter des Arbeitskreises Junge Argumente" tätig, danach als Lehrer in Busteni. Ein Photo von 1978 zeigt uns einen gequält lächelnden Junglehrer, der inmitten einer idyllischen Berglandschaft relativ lustlos in die Schule eilt. Es bleibt natürlich spekulativ, ob sich schon in diesen Jahren Bosserts innere Zerrissenheit geäußert hat, doch in der auffälligen Häufung des Studiumsujets, wie in Seminar Deutsche Nachkriegslyrik" (S, 14): eichsche vögel / und / bachmannsche fische / haben sich gegenseitig / aufgefressen / was bleibt ist / luft und meer / dazwischen / ein land / ein wort", lassen sich fast klinische Vorboten späterer Verzweiflung entdecken.

1974, im Aprilheft der Neuen Literatur", in der Sammlung Wire Wegbereiter", wird Bossert erstmalig einem breiteren, freilich durch die besonderen Rezeptionsbedingungen eingeschränkten, Publikum im Zusammenhang mit einer innovativen und provokativen Vorstellung der Aktionsgruppe Banat" bekanntgemacht.Nach vier Jahren Lehrertätigkeit geht er zurück nach Bukarest, arbeitet zunächst als Programmgestalter am deutschen Kulturhaus Friedrich Schiller" und ab 1981 als Verlagslektor bei den Verlagen Meridiane und Kriterion. Im letztgenannten Kriterion - Verlag, spezialisiert auf die Literatur der nationalen Minderheiten, erscheint auch sein Debütband siebensachen". Die Gedichtsammlung enthält Texte, die zwischen 1973 und 1978 geschrieben wurden. Bossert ist innerlich zerrissen, auf der Suche nach seiner Schreibweise, nach Beschreibungsmöglichkeiten und der Bewältigung innerer Zustände. Überdeutliche Stilmerkmale der Aktionsgruppe Banat" (1972-1975), wie die Einflüsse der konkreten Poesie, namedropping (Bertolt Brecht, Francois Villon) zeigen die feste Bindung und Vorbildwirkung der Ideen der Banater Autorengruppe. Doch schon hier zeigt Bossert sein Talent, freche ironische Texte zu schreiben, besonders gelungen in:sprichwörtlichesder schwab ist kleinallein der zug ist groß
(S,11)

Bossert betrachtet schon hier die Sprache als Spielwiese": Elemente des Ausdrucks, der phonetischen oder orthographischen Ebene, Groteskes und Ironisches, Dialektales und Anspielungen auf Texte bekannter Autoren fließen ineinander. Themen sind die aus Bosserts Lebenswelt: der Alltag, Reisebeschreibungen von Fahrten in Rumänien, Freunde und Saufgelage, manchmal auch historische Bezüge, wie das an die Schwabenzüge" erinnernde bereits erwähnte sprichwörtliches".

In Bukarest veröffentlicht Bossert, neben verstreut in rumäniendeutschen Publikationen erschienenen Gedichten, die Kinderbücher Mi und Mo und Balthasar" (1980) und Der Zirkus. Ein Bilderbuch" (1982), sowie Übersetzungen von
Victor Eftimiu, Gellu Naum und Mircea Zaciu4.

An Anerkennung fehlt es nicht: Er erhält eine Vielzahl von Preisen, wie 1979 den Literaturpreis des Verbandes der Kommunistischen Jugend oder 1982 den Übersetzerpreis des Schriftstellerverbandes 5.

Als dann 1984 Bosserts zweiter Lyrikband neuntöter"6 erscheint, leben die meisten Rumäniendeutschen in einem prekären Zustand zunehmender kultureller Verunsicherung. Existentielle Bedrohung und ein bei den meisten Autoren vorherrschendes Gefühl der Isolation bedrohen die Menschen im einem Land im Endzustand. Die sich verschärfende Lage der Ceausescu - Diktatur macht ein geregeltes kulturelles Leben fast unmöglich. Intellektuelle, nicht nur die rumäniendeutschen, schwanken zwischen Überlebensangst und Fluchtgedanken. Bosserts Freunde, wie Herta Müller und auch Richard Wagner, haben sich mit diesem Zustand zwischen Hoffen und Bangen, Bleiben und Gehen (was freilich eher eine Wahlmöglichkeit der Rumäniendeutschen war), in ihren Büchern sehr häufig auseinandergesetzt. Lanius collurio, der Neuntöter, gibt Rolf Bosserts letzten in Rumänien erschienenen Gedichtband seinen Titel. Ein sprechender Name: Der Neuntöter ist ein Unikum der Natur. Er spießt seine Beute auf, um einen Vorrat anzulegen und sie portionsweise nach und nach zu verspeisen. Analogien zu Vlad Tepes (= der Pfähler), der Pate für Bram Stokers Draculafigur stand, und auch zu Ceausescu sind überdeutlich. In diesem Band dominieren, anders als in dem eher kumpelhaft und suchend wirkenden Erstlingswerk, Metaphern für einen bedrohlichen Wartezustand, für eine Zwischenwelt, die sich irgendwo zwischen der Vergangenheit und der Zukunft befindet.
Ich schreibe mir das Leben / her, schreib mir das Leben weg" (N,8) scheinen dabei aus heutiger Sichtweise eine Schlüsselstellung einzunehmen. Das Vertrauen in die eigene urwüchsige Kraft erscheint erschüttert, ebenfalls das in die Macht der Poesie: Hoffnung schlägt um in Wut und Verzweiflung:
Vier Anläuf vor dem SchlafengehnAnspucken möchte ich die Sonne,doch die ist abgehaunin den goldenen Westen,schau, wies dort glänzt. Die verlängerte Agonie des Tagesheißt Sommerzeit, ist gesetzlich geregelt.

(N, 27)

Eine Besonderheit fällt ebenfalls ins Auge. Bossert schlägt, im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen, einen Ton an, der fast durchgängig von Verbitterung und Verzweiflung geprägt ist. Gefühlsausdrücke, verbunden mit dumpfer Sexualität (Stöhnend glimmts zwischen Plane und /Fleisch. Unter den Rippen ein Brand", N,31), expressiven Ausbrüchen (Anspucken", Wut", Ausspucken") und Gewalt (stumpfes Messer", Fäuste") zeigen eine verrohte Welt, die in seinen zumeist beschwingt wirkenden Gedichten Jahre zuvor fehlte.

Was bleibt Rolf Bossert, um die Wut, Verzweiflung und Trauer zu verarbeiten? In erster Linie das Schreiben, wie er uns in seinem Oktober 1983 in Rumänien verfaßten, posthum in dem in der BRD veröffentlichten Essai So entstand ein Gedicht. Eine Mitteilung aus der Praxis"7 verrät. Und da ist noch das Betäuben mit Alkohol. Anfänglich, vor allen im Debütband, wird Alkohol vom Autor mit Geselligkeit, Freunden und Lebensfreude verbunden. Jetzt wird er mit Metaphern des Verfalls, der stehenden Zeit und der Einsamkeit verknüpft. Für den Autor beginnt damit der stetige Verfall, der während des Wartens auf den Paß kulminiert. Hinzu kommt eine Angst vor der Securitate, welche nicht unbegründet ist. Wolf von Aichelburg beschreibt eine surreale Situation in Mein Standpunkt zur Literatur": (Er) wurde von einer Killerbande in Bukarest zusammengeschlagen, verlor dabei ein paar Zähne... Unglücklicherweise trug er wie der Dichter Petre Stoica einen roten Bart. Die Prügel galten Petre Stoica."8

Veröffentlichungsverbote, Schikanen gegenüber seiner Frau, aber auch helfende Kontakte zum Goethe-Institut in Bukarest prägen diese Zeit. Hier lernt er auch u.a. die bundesdeutsche Autorin Ingeborg Drewitz kennen, die ihm später erste Kontakte zu bundesdeutschen Verlagen vermitteln wird. Danach geht alles ganz schnell: Die Securitate nimmt ihm November 1985 fast alle Manuskripte weg, zwei Tage später erhält er sie unter Drohungen wieder. Kurz danach, am 22.12.1985, wird er aus der rumänischen Staatsbürgerschaft entlassen und trifft am 23.12.1985 in der Bundesrepublik Deutschland mit seiner Frau und den beiden Kindern ein, und bekommt sofort, mit einer kurzen Zwischenstation in einem Auffanglager in Bayern, in Frankfurt / Grießheim eine Unterkunft zugewiesen. All das, wofür früher ausgesiedelte, geflüchtete oder vertriebene rumäniendeutsche Autoren gekämpft hatten, begleitet ihn im neuen Land: hohe Medienpräsenz, Leserinteresse, sich solidarisch gebende Schriftsteller und Einladungen zu Lesungen. In Interviews9, Vorträgen gibt er sich kämpferisch und macht auf die angespannte Situation seiner in Rumänien verbliebenden Freunde aus der Banater Autorengruppe (Herta Müller, Richard Wagner, William Totok), aber auch anderer Autoren (Franz Hodjak) aufmerksam. Dennoch wählt er am 17. Februar 1986 den Freitod. Er hat sich aus einem Fenster gestürzt. Da die Todesursache unklar bleibt, kursieren Gerüchte über seinen für viele unverständlichen Tod in der Presse. Da einige im Westen lebende Autoren bereits anonym bedroht worden sind, vermuteten einige Kommentatoren sogar einen Anschlag der Securitate. In den folgenden Monaten erscheint eine Vielzahl von Nachrufen, die Bossert als einen begabten Dichter bewerten, der bleibende ästhetische Werte mittels der Sprache geschaffen hat. Einige Stimmen werfen ihm posthum menschliche Schwächen vor, besonders verdeutlicht in Wolf von Aichelburgs verbitterter rethorischer Frage: Warum hat sich Rolf Bossert umgebracht, der zum Märtyrer hochstilisiert wurde?". Besonnener das Urteil von Franz Heinz, der eine Solidargemeinschaft der im Westen lebenden Deutschen aus Ost- und Südosteuropa anmahnt: "Wer Antworten sucht, muß sich selbst befragen, muß in Bosserts Gedichten lesen. Schuldzuweisungen wollte dieser Freitod nicht auslösen. Es wäre nicht wenig, wenn er uns wach halten würde füreinander und gegeneinander."10 Herta Müller und Richard Wagner machen später nach ihrer Ausreise in die BRD auf ein weiteres psychologisches Moment aufmerksam, das Antworten auf offene Fragen geben könnte: Anders als Rolf waren wir schon vorher zu Besuch in der Bundesrepublik gewesen. Wir wußten, wohin wir gehen würden, während es für Rolf die erste und einzige Auslandsreise war. Er hat immer nur diesen Bukarester Druck erlebt." 11
Auf der Milchstraße wieder kein Licht" erscheint 1986 kurz nach Bosserts Freitod und enthält eine Auswahl von Gedichten aus den beiden zuvor in Rumänien erschienen Gedichtbänden und mit Karpaten, gekrümmt" eine Textsammlung aus dem Nachlaß des Autors. Dem Lyrikband angeschlossen sind außerdem zwei Essais, die die unterschiedlichen Lesarten der aus Rumänien kommenden Deutschen mit denen der Bundesbürger verdeutlicht. Gerhardt Csejka versucht behutsam und betroffen in Draußen, daheim. Ein Ortungsversuch." Bossert aus seiner Herkunft aus Reschitza zu erklären. Guntram Vesper dagegen bemüht sich in seinem Vorwort Fremde Gegend, schwere Stille. Zu Rolf Bossert und seinen Gedichten" redlich, den Autor aus seiner Zerrissenheit als deutscher Autor aus Südosteuropa zu begreifen, scheitert dabei aber an Sachunkenntnis. Ein nochmaliges Leseerlebnis dieses Bandes scheint den Eindruck zu erwecken, daß Bosserts Verzweiflung und Todessehnsucht in den Texten ihren Niederschlag gefunden haben. Besonders bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang folgendes Gedicht: :

Elegie1Ohne Fugklemmt das Land, ichsteh da2(In der Sanduhrrieselt die Axt)3Zwischen den Mauernder Hautlärmt ein Wasser.

(M, 95)

Vermutlich ist es eine Rohfassung, durch die tragischen Begleitumstände aber umso interessanter. Elegie - ein Abgesang, ein Abschied vom alten Land, welcher keinen Neuanfang bedeutet. Unter der Dickfelligkeit" der Haut pocht das Blut, das lyrische Subjekt ist im Lebenskreis unterbrochen. Die Zeit vergeht und der Tod kommt näher.

Es ist natürlich vermessen, zu behaupten, daß man Bosserts Selbstmordabsichten in seinen letzten Texten hätte erkennen müssen. Im Widerspruch dazu steht jedoch eine nach außen gezeigte überschäumende Vitalität, welche oft bei verängstigten, verunsicherten Menschen als pathologischer Fall anzutreffen ist. Ohne Zweifel besaß Bossert auch eine gehörige Portion Sensibilität, die in zugespitzten Lebenssituationen ein Hindernis sein kann, vor allem, wenn man wie Bossert aus den bisherigen Lebensumständen - seine Freunde blieben vorerst zumeist in Rumänien - gerissen wurde. Dieter Schlesak hat schon 1970 in seinem zu Unrecht vergessenen Bändchen Visa. Ost. West. Lektionen"12 auf diese psychologischen Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Dieses, trotz des linken utopischen Tones, hochaktuelle Buch, liefert etliche Erklärungsmuster für Rolf Bosserts Zerrissenheit zwischen dem alten Land (Rumänien") und dem neuen (Deutschland"), welches sich in einem Schwebezustand" der Entwurzelung spiegelt. Diese Zerrissenheit setzt den aus der östlichen Welt Kommenden, so Schlesaks These, besonderen psychischen Härten aus, die sein bisheriges Bild der westlichen Gesellschaft schmerzhaft zum Einsturz bringen, ohne dafür ein Äquivalent zu schaffen. Das Wohnen ist kein Ort- Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Gegenden versuchter Ankunft" heißt ein 1987 von Ernest Wichner herausgegebenes Sonderheft der Zeitschrift Die Horen", welches mit dem unmißverständlichen Untertitel In memoriam Rolf Bossert" längere Sequenzen zu und von dem Autor enthält. 13 Natürlich finden später einige seiner Gedichte weiterhin Aufnahme in Anthologien oder Zeitschriften, jedoch nimmt deren Anzahl im Verlaufe der Jahre ab. Doch warum, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, ist dieser Autor vergessen? Ohne Zweifel war Rolf Bossert ein talentierter Autor. Seine metaphernreichen Texte entziehen sich jedoch dem ungeübten Leser, sie wirken sperrig, direkt und manchmal vulgär. Man benötigt Hintergrundwissen zu seiner Herkunft aus dem multiethnischen Gefüge des Banater Berglandes, seiner Vita und Zeit, um diese sich dem Leser zu entwinden versuchenden Strukturen aufzulösen. Im Rückblick auf die späten 80er Jahre ist Bossert zusätzlich mit der völligen Einbindung seiner Texte in die zugespitzte politische Lage in Rumänien und der Transformation der Probleme des in Erstarrung verharrenden Landes ein Bärendienst erwiesen worden. Als das Medieninteresse sich von Rumänien weg auf andere Themen konzentrierte, erlosch auch die Bereitschaft der meisten Leser, sich auf diese Art Literatur einzulassen. Diejenigen Autoren, deren Schicksal stark mit diesen politischen Ereignissen verknüpft wurde, verloren jetzt zumeist ihre Medienpräsenz. Man kann nur hoffen, daß Bosserts gelungene Texte wieder eine Neuauflage und mehr Beachtung finden werden. Vor allem Sie hier im Banater Bergland sollten nochmals ein Buch dieses talentierten Autors zur Hand nehmen, und Gedichte wie Erinnerung an die Stadt R.", gemeint ist natürlich Reschitza, lesen, in dem er spitzbübisch schreibt:

Lokomotiven Hallen Hohe Öfenschwarz wie Humor, wieGalle grün. Den Herrgottüberlistet, an Seinem Tag, mitRucksack oder Raki, ein Lieddavon gesungen.
(N, 9).
1 Rolf Bossert: Auf der Milchstraße wieder kein Licht. Eingeleitet von Guntram Vesper. Nachwort von Gerhardt Csejka. Berlin 1986 (=M).

2 Rolf Bossert: siebensachen. Gedichte. Bukarest 1979 (=S).

3 Wie bereits erwähnt, wurde das Gedicht um 1975 geschrieben und in der bundesdeutschen Zeitschrift Akzente" 6 (1976), veröffentlicht.

4 Kinderbücher: Mi und Mo und Balthasar. Kinderbuch. Bukarest 1980; Der Zirkus. Ein Bilderbuch. Bukarest 1982 / Übersetzungen: Victor Eftimiu: Märchen. Bukarest 1980; Gellu Naum: Der Pinguin Apollodor. Bukarest 1980; Mircea Zaciu: Ion Agârbiceanu. Bukarest 1983.

5 Weiterer Preis: Preis des Landesverbandes der Pioniere (1980),

6 Rolf Bossert: neuntöter. Gedichte. Klausenburg 1984 (=N).

7 Rolf Bossert: So entstand ein Gedicht. Eine Mitteilung aus der Praxis, in: die horen. Zeitschrift für Literatur und Kunst. 3 (1987), S. 35 - 41.

8 Wolf von Aichelburg: Mein Standpunkt zur Literatur, in: Banat -Ja - Extrablatt. Bonn/Temeswar H. 1993/94, S. 4.

9 Vgl. u.a.: Der Exitus der deutschsprachigen Literatur Rumäniens. Ein Gespräch mit Rolf Bossert, geführt von Gisela Lerch am 11. Februar in Berlin, in: Frankfurter Rundschau, 20.2. 1986, S. 7

10 Franz Heinz: Ein Dichter sagte nein. Zum Tode von Rolf Bossert, in: Kulturpolitische Korrespondenz 66. 5.3.1986, S. 19.

11 Jetzt hoffen die Rumänen auf Gorbatschow". Die Schriftsteller Herta Müller und Richard Wagner über die deutsche Minderheit im Ceauescu - Staat, in: Der Spiegel, 4.4.1987, S. 160.

12 Dieter Schlesak: Visa. Ost. West. Lektionen. Frankfurt am Main 1970.

13 Das Wohnen ist kein Ort- Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Gegenden versuchter Ankunft / In memoriam Rolf Bossert. Herausgegeben von Ernst Wichner, in: Die Horen. 3 (1987). In einer Neuauflage dieser Anthologie einige Jahre später sind etliche Texte Bosserts herausgenommen worden.

* Aus objektiven Gründen konnte Dr. Thomas Krause nicht an den Literaturtagen teilnehmen. Erfreulicherweisen stellte er seinen Vortrag uns für Veröffentlichung zur Verfügung. (Erwin Josef Þigla)