Carmen Elisabeth Puchianu aus eigener Anschauung über zehn Jahre Deutscher Literaturtage in Reschitza
Nüchtern und bei Lichte betrachtet, bin ich eher abgeneigt, sogenannten runden Geburtstagen wortreich und festrednerisch zu huldigen. Zum einen liegt das daran, daß man hierzulande - aber möglicherweise andern Ortes auch, ich weiß es nicht und kann es nicht so recht beurteilen -, daß man hierzulande also allzu eilfertig und ohne Zögern in kürzester Zeit die eine oder andere Veranstaltung nach zwei- oder dreimaliger Wiederholung zur Tradition erhebt; zum andern hat meine Abneigung wohl damit etwas zu tun, daß man doch seine Schwierigkeiten hat, mit Genauigkeit den runden Geburtstag hervorzuheben, der in der Tat für Feiernde und Gefeierte gleichermaßen bedeutungsträchtig erscheinen mag. Gerade in der Jetztzeit ist man zunehmend dazu verleitet, sich der einen oder andern Feststunde - manche sprechen gern von Jahrhundert- oder gar Jahrtausend / Milleniumsstunden - hinzugeben, man ist völlig hingerissen davon, daß einem die Zeit die zehnte, fünfzigste, hundertste oder zweihunderste Wiederkehr eines längst verjährten Ereignisses beschert; Grund genug, solches zum Fest zu gestalten und feierlich zu begehen. Dabei geht es im Grunde um nichts anderes als um das Nachdenken über die Zeit und das eigene Ich im Widerstreit mit dieser. Wie bedeutsam rundet sich dies zehnjährige Jubiläum, das zu begehen man gerade im Begriffe ist? Wie belanglos ist es? Sicherlich nicht weniger bedeutsam als alle andern Jubiläen dieses Jahres. Nicht belangloser als diese, mit Sicherheit. Und was berechtigt mich als Autorin von Gedichten und Geschichten an dieser Stelle zu einem solchen Urteil, möchten Sie sich vielleicht fragen. Keine müßige Fragestellung im Übrigen, zumal meine Wenigkeit nicht vom Anfang dabeisein durfte. Und auch später, nachdem ich zum ersten Male hierher eingeladen wurde - es geschah 1996, nach dem Erscheinen meines ersten größeren Prosabandes im Münchner Lagrev - Verlag, jenes störrschen Amselbuches, das in manchen Kreisen nicht wenig Gerede und Gezeter und einiges Ungemach verursacht hatte; möglicherweise lag der tiefere Grund der Einladung gerade in dem für landesübliche Verhältnisse auffallend skandalträchtigen Getue um das Buch - später also, nachdem ich zum ersten Male hierher eingeladen wurde, war es mir nicht immer vergönnt, dabei zu sein. Ein Mal gab ich einer Reise nach Deutschland den Vorrang und ein zweites Mal hielt Fieber mich gegen meinen Wunsch und Willen im eignen Bette fest, daß ich von Reschitza im Fieber Wahn nur träumen konnte. Ich schrieb damals darüber und versetzte mich auf die hohe Warte der Abwesenheit, was manche als krasse Anmaßung abtun mochten, mir aber stets den trefflichsten Standort des Schriftstellers bedeutet. Von dorther vermochte ich das Geschehen zu verfolgen, ich durfte mich freuen oder grämen, auf jeden Fall durfte ich teilhaben daran. Und ich ließ mich dazu hinweisen, von Lebensplannung zu sprechen und davon, daß Reschitza müsse in dieser ein Festpunkt werden. Trotz meiner eingangs geäusserten Vorbehalte habe ich es als meine Pflicht erachtet, der Aufforderung folge zu leisten und eine Rede zu halten. Nicht etwa aus übergroßer Freudigkeit am Reden wie gesagt, oder um den Veranstaltern eine bloße Gefälligkeit zu erweisen aus der einfachen Erwägung heraus, nun müsse ehrens leisten - solches liegt weder in meiner Art noch in meiner Absicht darüber seien sie mir versichert. Ich tue es für die ausgezeichneten kulinarischen Gemüße in Reschitza, weil Reschitza mir sehr viel bedeutet: viel an Herausforderung und Verpflichtung gleichermaßen. Zur Erläuterung Folgendes: vor kurzem befand ich mich als Gast des British Council in Bad Felix bei Großwardein. Britische und rumänische Schriftsteller bzw. zum ersten Mal auch Repräsentanten/Innen einiger Minderheitenliteraturen aus Rumänien waren zu einer Begegnung geladen worden, und man wollte über ein verlängertes Wochenende über Identität diskutieren, Vorträge halten und anhören, Lesungen in der eigenen wie in englischer Sprache bestreiten. Es gab wohl kaum einen rechten "Vollblütler" unter den anwesenden Autoren: der eine war Schotte, der zweite Halbjude, die eine gebürtige Pakistani, die andere hatte gerade in ihrem Stammbaum einen unübersehbaren Zweig von echten Wanderzigeunern entdeckt; einer erwies sich als bekennender Homosexueller, will sagen, sie alle trugen ihre jeweilige Andersartigkeit zur Schau, verstanden ihre Identität im Grunde genommen schlichtweg als Schriftsteller, als Wortwerker und Schöpfer, als Finder und Erfinder von Geschichten. Am wenigsten schien für das Etnisch-Nationale zu zählen. Was einem besonders auffallen mußte während der Tage in Bad Felix, war das virtuose Auftreten der Briten. Mit einer Ausnahme handelte es sich um noch junge Autoren/Innen, die jedoch völlig selbstbewußt und selbstsicher vor das wohltuend zahlreiche Publikum traten und ganz gleich was sie sagten, ihr Sagen was ihm am meisten eigen ist: denn ihn umgibt die Aura des Außenseitertums, des Fremden und Gemiedenen, der Einsamkeit und der Herzenskälte, jawohl. Daher mutet er einen arrogant und besserwisserisch an, anmaßend und unmoralisch - zumindest läßt sich solches dem gängigen Urteil der Leser entnehmen. Ganz anders sollte man über ihn urteilen, ihm viel lieber Sympathie entgegenbringen und Verständnis, vielleich einiges an Nachsehen und sicherlich viel Mitgefühl, denn überlegen Sie, was braucht er am dringensten und mehr als jeder andere, wenn nicht Zeit? Der Schriftsteller sollte doppelt und dreifach mehr Zeit zur Verfügung haben, um gleichermaßen zu erleben, zu finden und umzuschreiben, kurz um, das zu tun, was man strenggenommen dichten nennt. Und dann kommt ja noch etwas Erschwerendes hinzu: wie oft muß die Berufung hinter dem Beruf zurücktreten? Wie oft ist der Beruf ein ganz anderer als die Berufung, gerade heute, wo kaum einer aus der Schriftstellerei zu leben vermag. Der zivile Beruf kommt der dichterischen Berufung nur allzu oft in die Quere, daß so mancher Gedanke, kaum zur Geschichte aus gereift, als unfertige Skizze, in wenige Worte gefaßt, liegen bleibt, sozusagen auf bessere, schreibträchtige Zeiten vertröstet wird und warten muß, wie ein Stief oder wenigen - kind, daß es einen brennt in der Seele wie alles, das zu keinem guten Ende geführt werden kann. Darüber sollte man doch einmal befragt werden, statt der leidigen Frage nach dem Was und Wieso des Fertigen! Sollte hier der Eindruck entstanden sein, man müsse den Schriftsteller bemitleiden und etwa in Schutz nehmen gegen ein feindliches Publikum, möchte ich das auf jeden Fall korrigiert haben. Ganz so schlimm kann es nicht sein und ist es tatsächlich nicht. Denn zumindest in zwei wesentlichen Punkten treffen sich Schriftsteller und unser Publikum: zum einen muß ja auch der Leser einen harten Kampf ausfechten gegen die Zeit, ist doch das Lesen nicht minder zeitaufwendig als das Schreiben. Hierzu eine Anekdote: das kleine Mädchen, das gewissenhaft Hausaufgaben schreiben muß in der Küche meiner Mutter, hielt etwas ratlos inne bei dem Wort "Roman". Was das sei, wollte es wissen und als Mutter in rechtem Übereifer zur Erläuterung und bildlichen Anschauung wie zufällig einen Roman von Thomas Mann von meinem Schreibtisch herbeiholte, fragte das Kind, völlig entgeistert, wie lange man denn dafür brauche? Sicherlich ein Jahr! Dann wollte es nur noch wissen, wie alt es werden müsse, ehe es überhaupt Romane in der Schule zu lesen gäbe. Vielleicht kommt es ja darum herum in der Zukunft, wer weiß... Oder es findet in ein regelrechtes Kunstereignis, in eine regelrechte Show zu verwandeln wußten. Sie sprühten nur so von Witz und Charme, sprachen beredt aber heiter und locker, mitunter hinreissend humorvoll oder leicht ironisch, daß sie alle Anwesenden unweigerlich in ihren Bann zu ziehen vermöchten. Nicht so einige der rumänischen Autoren. Diesen saß noch die vergangene Zeit im Nacken, der Schrecken über das verbotene Wort, die Last des Alltags und des Sichversteckenmüssens. Kaum einer wagte es, den Blick gelegentlich von den Buchseiten oder den handgeschriebenen Papierblättern zu lösen und auf das Publikum zu richten, geschweige denn ein Lächeln wie zur Aufmunterung oder um Zustimmung heischend an die Anwesenden verschenken. Als sich dann der Schotte - ein Fünfziger, ein Mann in den besten Jahren, wie man doch so treffend zu sagen pflegt, mit einem bübischen Lächeln auf den Lippen - in Pose setzte, will sagen sich im wahrsten Sinne des Wortes dem Publikum in Modellpose präsentierte, wußte ich, was es bedeutet, den Schriftsteller als öffentliche Person zu achten und dafür zu sorgen, daß es so etwas gibt wie eine Kultur der öffentlichen Auftritte. Solches will und muß gelernt werden. Solches will und muß dem Schriftsteller geboten werden ohne Vorbehalt und aus ganzem Herzen. Das meine ich mit Herausforderung und Verpflichtung in Verbindung mit den zum zehnte Malen wiederkehrenden Literaturtagen. Die größte Herausforderung liegt mit Sicherheit darin, daß der Schriftsteller hinter seinem Werk regelrecht hervorgelockt wird, sozusagen aus seiner Reserve hervortritt und für einige Augenblicke aufhört, eine anonymabstrakte Eminenz zu sein, die wegweisend etwa, oder schelmischverspielt, vielleicht kritisch mahnend oder nur zur Unterhaltung auf seine Leser "einzureden" beabsichtigt, statt dessen eine konkrete Verkörperung annimmt, sich verteidigt, rechtfertigt, dem Publikum schöntut und um dessen Wohlwollen wirbt mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln. Halb Seher, halb Scharlatan, schwankt er stets zwischen Huldigung und Kritik und fürchtet nichts mehr als Gleichgültigkeit und Kälte. Es möchte Ihnen zu den Paradoxen dieser Welt zählen, daß der Schriftsteller ausgerechnet das am meisten fürchtet, gefallen davon und entdeckt auch jene andere Möglichkeit (und), läßt sich buchstäbliche in jenen Zeitenthobenen Zustand vorsetzen, den allein Dichtung ermöglicht. Zum anderen, ist es Eitelkeit, die Autor und Leser verbindet. Der eine liebt es, sich im Spiegel des andern wiederzufinden, sich darin zu bewundern wie die sprichwörtlich märchenhafte Königin. Es schmeichelt der Eitelkeit des Schriftstellers, wenn man ihn um die Ehre bittet, zu sprechen und zu lesen, sich zum besten zu geben, wenn man ihm Beifall zollt, wie es sich gehört; und es schmeichelt der Eitelkeit der Leser, den Schriftsteller zu mustern, ihn sprechen und lesen zu hören, als Tue er dies für jeden Einzelnen als Huldigung und Bestätigung des Selbst. Um ehrlich zu sein, beide Seiten fühlen sich geehrt und hochgeschätzt, und so sollte es sein, wenn man einander in der Öffentlichkeit begegnet. Ich kenne eine Frau, die hat tatsächlich so viel Ehrfurcht vor Büchern und vor Menschen, die Bücher schreiben, daß sie, obschon gute zwanzig Jahre älter als meine Wenigkeit, lange Zeit gezögert hat, mich zu duzen. Und dann gibt es (ja) bekanntlich Kulturen, die ihre Schriftsteller in ganz hohen Ehren gehalten haben und halten. Kein Geringerer als Richelieu hatte veranlaßt, daß nahmhafte Dichter in die Academie Française aufgenommen wurden, sozusagen zur Einbürgerung und Anerkennung unleugbarer Verdienste. Oder man verleiht ihnen wertvolle Preise wie etwa den Pulizerpreis oder den Nobelpreis. Man kann sie natürlich auch dadurch würdigen, daß man ihnen einen Ehrentitel verleiht, und in der Tat ist das Werk des Schriftstellers akribisch und mühsam wie keine andere. Glücklicherweise ist einem unter uns in der Jetztzeit eine solche Ehrung zuteil geworden! Womit ich sagen möchte, nicht allein der Schriftsteller steht unter Verpflichtung, sondern sein Leserpublikum tut es auch. Nicht allein der Schriftsteller fühlt sich herausgefordert und gefördert, sondern sein Publikum sollte es ebenso halten. Die zehn Jahre Literaturtage in Reschitza stehen dafür. Sie stehen für Kultur und noch mehr stehen sie für einen lebendigen Austausch, für lebendige Literatur schlechthin. Damit will ich nicht meine Unkenrufe zurücknehmen, die ich 1996 sozusagen als Requiem auf die rumäniendeutsche Literatur hierzulande verlauten ließ. Ich glaube nach wie vor, daß aus einer Reliquie ein Vogel Phönix zu machen ist: die Literaturtage beweisen es. Zumal sie nicht nur den Kinderschuhen zu entwachsen begonnen haben, sondern sich stetig steigern. Ganz besonders muß dabei hervorgehoben werden, wie vielseitig die Thematik der Veranstaltungen und äußerst umfassend die Bemühungen gewesen sind in den ganzen Jahren bis heute. Keine Bilanz, nicht einmal eine Zwischenbilanz will hier gezogen werden, vorsätzlich nicht und aus gutem Grunde nicht: das würde, so denke ich, die Sache irgendwie zu endgültig, zu abschließend erscheinen lassen, und das wiederum widerspräche zu sehr und von Grund auf dem Wesen der Veranstaltung. Ich greife daher heraus und erinnere nur an das Vorjahr, da nicht allein unveröffentlichtest oder gar längst verschollen geglaubtes Dichterwerk dem Publikum vorgestellt wurde, sondern eine beinahe einmalige Begegnung vermittelt wurde zwischen Schriftstellern und Verlegern. Im Übrigen versteht man es in Reschitza, ein ausgeglichenes Verhältnis zu Vergangenem und Gegenwärtigem; Hüben und Drüben aufrecht zu erhalten, wie der Thematik auf der Rückseite des Programmheftchens deutlich zu entnehmen ist. Jemand sagte mir, eigentlich müsse man ein - zwei Jahre verstreichen lassen, ehe man sich erneut nach Reschitza begebe. Man tut unrecht damit, denn man leistet einem zusammenhängenden Prozeß Abbruch, was sicherlich nicht im Sinne der Veranstaltung (und deren Teilnehmer) sein kann. Zum guten Schluß gestatten Sie mir die Behauptung, das alles wäre sicherlich nicht möglich, und die reschitzaer Literaturtage wären nicht, was sie sind, gäbe es nicht Erwin Josef Tigla. Einen wackeren Kreuzritter verbliebener Kultur hatte ich ihn vor zwei Jahren genannt, der beredt seine kühne Lanze zu schwingen weiß und an Rührigkeit und Tüchtigkeit wohl kaum übertroffen werden kann, wenn es darum geht, einer guten Sache zu dienen. Ich bewundere und schätze seine organisatorischen Fähigkeiten, seinen ungebrochenen Schwung, immer neu anzusetzen, und nicht zuletzt seinen Mut, sich einer Sache verschrieben zu haben, die die meisten geringschätzen, weil sie (leider) wenig materiellen Gewinn mit sich bringt. Erwin Josef Tigla, das denke ich sagen zu dürfen, glaubt an die Möglichkeiten der Kultur und im besonderen der Literatur, etwas in unserem Leben zu bewegen oder gar zu verändern, will sagen, er nimmt große Herausforderung an und erteilt seinerseits Herausforderungen. Das bedeutet für mich Reschitza und das bedeuten mir die Reschitzaer Literaturtage. Dafür danke ich Herrn Tigla ganz herzlich und wünsche ihm und den Literaturtagen noch weitere, "rundere" Jubiläen!

9. Mai 2000 / Kronstadt für die Reschitzaer Literaturtage, 19. - 21. Mai 2000