Denkanstoss!

Die Zeiten ändern sich...

von Prof. Tibor Lichtfuss
(früher Orawitza, jetzt Innsbruck)

So manches, was gestern noch gültig und richtig war, gilt heute als unmöglich, veraltet oder bedenklich.

Umgekehrt gilt auch, daß so manches, was früher unmöglich erschien oder gar verboten war, heute als selbstverständlich erscheint.

Wieder einmal hat sich eine alte Weisheit als richtig erwiesen, wenn wir an das lateinische Sprichwort denken: Tempora mutantur nos et mutamur in illis (Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in der Zeit). Dieser Spruch wird übrigens Kaiser Lothar I. (795-855) zugeschrieben.

Manches lässt sich aus der Entwicklung der Wissenschaft und der Zeit erklären, anderes aber wirkt bedenklich. So etwa, wenn solche Änderungen die Erziehung, die Moral oder gar die Glaubenslehre betreffen. So mancher wird dabei in seinem Inneren konfus und stellt sich die Frage, was wohl heutzutage überhaupt noch gilt.

Freilich kann man heute nicht mehr verlangen, daß zum Beispiel die Frau genau so lebe wie einst, als sie noch viele Kinder zur Welt brachte, als sie im Haushalt die ganze Wäsche waschen und für alle kochen mußte. Um nur diese beiden Beispiele zu erklären: Heute ist vieles, was sie früher machen mußte, bereits fertig, es gibt vorbereitete Lebensmitte, fertige Teigwaren zum Beispiel und es braucht keine Waschrumpel mehr, denn was einst die Frau mit der Hand waschen mußte, verrich-tet heute die Waschmaschine. Was aber die Kinderzahl betrifft, so muß man sagen, daß es heute erstens nicht mehr den Raum für Großfamilien gibt, wie einst und ebenso, daß damals der Vater alleine einen Verdienst hatte, mit dem er eine Großfamilie ernähren konnte, was heute nur mehr sehr selten der Fall ist. Es gäbe noch viele andere Gründe und Beispiele.

Daß dabei die Frau andere Aufgaben zu erfüllen hat, manchmal sogar zum Beispiel mitverdienen muß, erklärt noch vieles. Daß sie dabei freilich auch an ihre persönliche Emanzipation zu denken beginnt, dürfte wohl verständlich sein.

Wir wollen aber hier nicht zu weit mit der Problematik ausschweifen, sondern vielmehr ein paar Tatsachen erwähnen:

Einst waren die Kirchen voll, heute stehen sie in vielen Teilen Europas (besonders im reichen Westen) ziemlich leer da. In diesem Punkt können unsere osteuropäischen Gläubigen aller Konfessionen ein gutes Beispiel für den „goldenen Westen„ sein.

Pfarreien mußten früher gegründet werden, heute muß man sie zusammenlegen weil zu wenige Priester da sind.

Früher waren die meisten Filme unbedenklich, heute strahlt das Fernsehen den moralischen Schmutz und die blödesten Filme bis in die Kinderzimmer hinein („Planet der Affen", „Krieg der Sterne" und ähnliche Erziehungen zum Terror und zur Dummheit hin).

Was die Sexualmoral betrifft, so mag sein, daß diese früher manchmal übertrieben streng war und manchmal krankhafte Formen annahm. Was aber heutzutage an „Befreiung von Tabus" praktiziert wird, ist ein totales Ausschwenken des Pendels in die andere Richtung, was ebenso schlecht ist. Manches davon erscheint sogar gesetzlich legalisiert, wenn etwa eine Abtreibung ganz einfach als Schwangerschaftsunterbrechung euphemisiert, gesetzlich erlaubt ist.

Diese wenigen Beispiele - leider gibt es unzählige weitere - mögen genügen, um verständlich zu machen, wenn so mancher Mensch, der schon früher gelebt hat und auch jetzt noch existiert, den Kopf schüttelt und sich die Pilatusfrage stellt: „Was ist Wahrheit?"

Freilich gibt es auch gute Beispiele. So etwa wurden die Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen früher geradezu feindlich ausgelegt, so daß es manchmal, etwa bei Eheschließungen in einem anderen Gotteshaus zu Exkommunikationen kam. Hierin hat sich bis heute so manches gebessert.

Heute wird Ökumene betrieben, man versucht auf vielen Wegen die Glaubensgemeinschaften zusammenzuführen, wobei - dies sei bemerkt - die Annäherung noch am ehesten von der Basis her, von der Masse der Gläubigen viel effektvoller ausgeht, als wir es von den höheren berufenen Leitungskräften der verschiedenen Konfessionen erfahren. Besonders bei uns im Banat ist diese Annäherung bereits allein deswegen sehr fortgeschritten, weil hier die Gläubigen schon lange vor den ersten Versuchen einer Ökumene ihre Annäherung immer schon aus eigener Initiative praktisch gelebt haben, was ja auch heute noch immer - Gott sei`s gedankt! - der Fall ist. Kurz gefaßt: wir, die kleinen Gläubigen, das „arme Volk Gottes" sind in diesem Punkte auf jeden Fall biegsamer als die hohen Kirchenführungen es in ihrer unnachgiebigen Starre sind.

Seitdem es eine menschliche Gemeinschaft gibt, gab es auch schon immer einen Wandel derselben, manchmal zum Besseren, manchmal zum Gegenteil. Aber ein Stehenbleiben gab es noch nie und wird es auch nicht geben. In unserer Zeit wird dieser Wandel immer schneller, immer rasanter, sodaß einem kaum die Zeit bleibt, zu überlegen, ob etwas richtig oder unrichtig ist. Man muß manchmal mittun, um nicht rettungslos abgehängt zu werden.

Wie soll sich da ein Christ helfen, ohne zu verzagen? Die Antwort ist ganz leicht. Jeder von uns hat ein Gewissen und er soll sich von diesem leiten lassen. Das Gute muß getan, das Böse gelassen werden. Freilich beurteilen manche Gut und Böse verschieden. Eben hier dürfen wir das Wort des großen Philosophen Thomas von Aquin nicht vergessen: „Stirb lieber exkommuniziert, als daß du gegen dein Gewissen handelst!"

Was aber in meinem Denken selbst den Weg angeben soll, ist das, wovon alles abhängt, nämlich das Gebot der Liebe: „Du sollst Gott, deinen Herrn lieben... und deinen Nächsten wie dich selbst" (Mt.22,39).