Über das Problem der Friedhöfe


aus „Banater Beglanddeutsche"
Folge 99, München-Wien, Juli-August 2001, 17.Jahrgang
Ruhet in Frieden in unseren Herzen!

von Werner Henn

O, tempora! O, mores! (Oh, Zeiten! Oh, Sitten!) könnte man mit Cicero ausrufen, liest man den Beitrag von Robert Fabry über den Zustand des Friedhofs in Reschitz und die Reaktionen darauf. Allerdings mischen sich zwischen sachlich berechtigte Kritiken auch populistische, unüberlegte Forderungen. Jeder der jetzt empört aufschreit, sollte erst einmal einen Blick auf die Geschichte richten und sich die aktuelle Lage vor Augen halten. Sehr trefflich und schmerzlich auf den Punkt gebracht hat es Hildegard Sacasan in ihrem Leserbrief. „Das Leben hat Vorrang..."

Wer sich über den Vandalismus auf den Friedhöfen in Rumänien (nicht nur Reschitz ist davon betroffen) echauffiert, gar an Edikte tyrannischer Despoten erinnert, welche die Todesstrafe für Grabschändungen festgeschrieben haben, schadet letztlich einer inhaltlich notwendigen Diskussion. Können die römischen Kaiser Augustus, Caligula, Claudius, Nero oder Tiberius Vorbilder für uns sein? Augustus hat den Sklavenhandel gefestigt und den Kaiserkult eingeführt. Caligula erreichte Weltruhm als Despot, ernannte sich zum Gottkaiser und ging im Größenwahn unter. Claudius wurde als schwacher Kaiser verspottet. Nero, durch Intrigen und Mord auf den Thron gelangt, ließ die Christen verfolgen und umbringen. Ti-berius wird von dem Geschichtsschreiber Tacitus als Tyrann und Heuchler bezeich-net.

Und wie ist es mit den Grabschändungen? Was ist mit den antiken Grabstätten der Ägypter, Sumerer, Phönizier, Inka usw. über Jahrtausende geschehen? Sind sie nicht immer wieder geplündert und geschändet worden? Römer und Griechen haben ihre Tempel auf den sakralen Plätzen der von ihnen unterjochten Völker errichtet. Christen haben ihre Kirchen auf den Fundamenten geschleifter antiker Tempel erbaut. MosIems haben christliche Kirchen in Moscheen umgewandelt. Und wo sind die Gräber der Milliarden Menschen, die bisher unsere Erde bevölkert haben? Warum regt sich keiner auf, wenn man auf Großbaustellen unserer Zeit auf menschliche Knochen stößt und trotzdem weiterbaut?

Grabschändung ist kein typisch rumänisches und auch kein typisch Reschitzaer Phänomen. Auch hierzulande berichten die Medien davon. Sogar im beschaulichen und erzkonservativen Schwarzwald ist das Thema nicht unbekannt. Ja man hat darin gar eine Marktlücke entdeckt. Für 2,50 DM pro Monat und Grab kann man einen "Schutzbrief` erwerben, eine Art Versicherung, von der sich der Anbieter Gewinn erhofft.

Soll damit das Geschehen auf dem Reschitzaer Friedhof entschuldigt oder gar gerechtfertigt werden? Keinesfalls! Es soll nur zum Nachdenken anregen, bevor ein vorschnelles Urteil gefällt wird.

Der Tod ist ein Schlaf, in welchem die Individualität vergessen wird, ... sagt Schopenhauer. Ob es uns paßt oder nicht, wir alle sind in einen natürlichen Kreislauf eingebunden, und so gilt für uns alle einmal: Staub zu Staub, Asche zu Asche. Und was bleibt? Nur ein steinernes oder metallenes Kreuz als Zeugnis unserer einstigen Individualität? Hier widerspreche ich Schopenhauer. Vergessen wir denn die lndividialität unserer Toten, wenn sie unter der Erde liegen? Brauchen sie einen Grabstein, um nicht vergessen zu werden? Brauchen wir ihn, um ihrer zu gedenken? Leben unsere Toten nicht vielmehr in unserem Bewußtsein weiter, solange wir uns ihrer erinnern?

Wir sollten uns mehr um diejenigen sorgen, deren Leben sich hart an der Grenze des Erträglichen abspielt, die oft selbst nicht wissen, ob ihr Leben ein Segen oder der Tod eine Erlösung ist.

Deshalb: Laßt bitte die Kirche im Dorf und die Toten in unseren Herzen in Frieden ruhen!

Eine abschließende Betrachtung

von Herta Drozdik-Drexler

Kein Beitrag hat die Gemüter unserer Leserinnen und Leser so erregt, wie der von Robert Fabry in der Folge 95 unseres Mitteilungsblattes. Nicht nur in Zuschriften an die Redaktion, auch in Gesprächen war davon immer wieder die Rede. Doch das, was Robert Fabry damit bewirken wollte, geschah nicht. Niemand machte einen konkreten, in die Praxis umsetzbaren Vorschlag, um etwas an dem beklagenswerten Zustand des Reschitzaer Friedhofs zu ändern.

Tatsache ist, die meisten Aussiedler ließen ihre Gräber aus praktischen Überlegungen mit einer Betonplatte abdecken. Jeder dieser Betondeckel ist - auch wenn man sich das nicht eingestehen mag - der Schlußpunkt hinter dem Reschitzer Kapitel einer Familiengeschichte, denn die Reschitzer Familiengräber der Aussiedler haben ausgedient. Die ausgesiedelten Nachkommen werden nicht mehr dort bestattet werden, wo sie ihre Eltern und Großeltern zur letzten Ruhe gebettet haben. Unsere Familiengräber in Reschitz bleiben verlassen zurück, werden irgendwann aufgelassen oder von anderen genutzt werden. Das wissen wir, und wir sind wohl bereit, es hinzunehmen, wenn auch mit ungutem Gefühl. Was uns aber zutiefst verletzt und empört, ist die mutwillige Zerstörung von Grabstätten, Grabsteinen und Laternen, der Raub der eisernen Grabkreuze und Gedenktafeln. Das zu verhindern, ist Aufgabe der Stadtverwaltung, zumal der Friedhof nicht aufgelassen ist, sondern weiter für Bestattungen genutzt wird.

Tatsache ist auch, Friedhofspflege kostet Geld. Nicht nur in Deutschland. Die Stadt Reschitz dürfte das dafür nötige Geld angesichts ihrer gewaltigen sozialen Probleme in absehbarer Zeit nicht haben.

Was könnte man also tun? Vielleicht wäre in Gesprächen von Aussiedlervertretern mit der Stadt und dem Forum eine Vereinbarung zu erreichen, die jeden in die Pflicht nimmt, um eine Lösung herbeizuführen. Wenn jede Aussiedlerfamilie, die ein Familiengrab in Reschitz besitzt, an der Instandhaltung des Friedhofs ernsthaft und dauerhaft interessiert wäre und sich dazu verpflichten würde, einen bestimmten Jahresbeitrag pro Grab zu entrichten, könnte die Stadt damit zum Beispiel das Gehalt eines Friedhofspflegers finanzieren und sich ihrerseits dazu verpflichten, daß Zäune und Wege instandgesetzt werden, der Friedhof nur zu bestimmten Zeiten für Besucher geöffnet ist und Ordnungskräfte gelegentlich nach dem Rechten sehen; das Forum könnte sich um die Einhaltung der Vereinbarung vor Ort kümmern. Ob eine solche oder eine ähnliche Vereinbarung aber zustande kommt, hängt letztlich von allen Beteiligten ab. Alle müßten Wert darauf legen, daß der Friedhof in einen würdigen Zustand versetzt wird und so noch eine Weile erhalten bleibt. Und aIIe müßten etwas dafür tun.

Da es um die Gräber unserer Vorfahren geht, könnten wir Aussiedler die Initiative ergreifen. Aber wenn`s etwas kostet, wären wohl nur wenige dazu bereit. Jedenfalls hat niemand einen diesbezüg-lichen Vorschlag gemacht. Auch hat sich niemand angeboten, die damit verbundene Arbeit zu leisten und als Vertreter der Aussiedler Gespräche in Reschitz zu führen. Der Bundesvorstand des Heimatverbandes hätte eine solche Initiative nach Kräften unterstützt, er selbst ist aber personell nicht in der Lage, diese zusätzliche Aufgabe zu übernehmen. Allein mit Klagen und Kritik wird das Problem jedoch nicht zu lösen sein. Wenn also jemand etwas in dem genannten Sinne unternehmen möchte, um zur Lösung des Problems beizutragen, hat er unsere volle Unterstützung. Wenn dazu aber niemand bereit ist, sollten wir die Diskussion über das Thema mit den Worten von Werner Henn beenden: Laßt unsere Toten in unseren Herzen in Frieden ruhen!
 

Fotomontage: Römisch-katholischer Friedhof in Mehadia

von Erwin Josef Tigla