Aber ich war damals sicher ...

 

Josef Puwak: Ideale, und Weg der Arbeiterklasse

 

von Horst Schuller

Nr. 23 / 8. Juni 1984
Auf Vaters Schultern erlebte der Fünfjährige in Reschitza die große Mai - Demonstration von 1918. Der Vater war Steuermann im Walzwerk, der Großvater hatte bei den Hochöfen gearbeitet. Im Haus war die Mutter die treibende Kraft; sie bezog die Wiener Arbeiterzeitung, las daraus vor, führte auch ein Tagebuch. In Reschitza hatten die größten Anlagen südosteuropäischer Schwerindustrie zu einer Ballung von Arbeitskräften geführt, die sich zu organisieren wußten und einen beeindruckenden Zusammenhalt aller Nationalitäten entwickelten. Die Sozialdemokraten und ihre Jugendorganisation sorgten für politische Aufklärung und kulturell organisierte Freizeit im selbsterbauten Arbeiterheim der Gewerkschaften. Josef Puwak war im Schnellabor des Stahlwerks von Reschitza als Laborant untergekommen. Daß die Dämpfe seine Stimmbänder angriffen und für immer schädigten, merkte er zu spät. 1929 trat er in die sozialdemokratische Jugendorganisation ein, wo er für die Kulturarbeit verantwortete. Seine musischen Neigungen hatte der Vater unterstützt, ihm Geigen- und Malstunden verschafft. Mit sechzehn Jahren besaß Josef Puwak seinen ersten Fotoapparat, den er auf Ausflügen und Bergwanderungen ausprobierte. In den Alben, die wir in der Bukarester Wohnung des Rentners durchblättern konnten, sind zahlreiche Schnappschüsse aus jener Zeit festgehalten. Auf mehreren Bildern das gleiche zarte Mädchengesicht: seine Frau, die er als 17jährige heiratete. Der junge Josef Puwak verantwortete im Reschitzaer Arbeiterheim (zu dem ein klimatisierter Kinosaal, Sitzungsräume und eine Bibliothek gehörten) für die Bücherei der Jugendorganisation. Was damals gelesen wurde? Willi Bredel, Henri Barbusse, E.M. Remarque, viele Antikriegsbücher und selbstverständlich auch die Klassiker der deutschen Literatur. Man versuchte, Schillers "Räuber" oder "Tell" aufzuführen. In der Jugendbewegung erfuhr der Lebensgeist eine Linksradikalisierung. Nicht bloß materialles Elend, sondern hochfliegende Ideale, Menschheitsträume ließen viele zu Jungsozialisten und später zu Kommunisten werden. Anfang

der dreißiger Jahre tauchten auch in Reschitza junge Leute mit roten Hemden und Leninbärten auf, die demonstrativ für den Kommunismus warben, ohne auf diese Weise jedoch Anhängerschaft zu gewinnen. (Kommunisten gab es in Reschitza schon seit 1921, seit Gründung der Partei; Puwaks Vater gehörte auch dazu). Josef Puwak schrieb Mitarbeiten für die Temeswarer Arbeiterzeitung, darunter auch Beiträge über berühmte Filme der jungen sowjetischen Kinematographie: "Panzerkreuzer Potemkin", "Zigeuner", "Der blaue Expreß". Man reichte die Illustrierte "Sowjetunion im Bau" herum. 1933 wurde Puwak zum Kongreß der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) nach Bukarest delegiert, hier lernte er u.a. den jungen Professor Stefan Voitec kennen. Nach einer Ansprache, wo Puwak sich für eine Zusammenarbeit mit kommunistischen Jugendlichen geäußert hatte, suchten Aktivisten der rumänischen kommunistischen Bewegung Kontakt zu ihm. Im gleichen Jahr wurde Josef Puwak Kommunist, Parteimitglied. Was ließ sich im Bereich der Kulturarbeit damals gegen die einsetzende Faschisierung tun? Stücke wurden aufgeführt; als die Polizei das verbot, nutzte man Agitpropformen, selbsverfaßte Monologe, Lieder, in denen die demagogische Politik der Nazi-Gewaltigen verspottet wurde (... wenn der Hitler reden tut, geht es dem Proleten gut..."). Über diese Zeit finden sich nähere Angaben auch in dem nach der Befreiung erschienenen Band "Teatrul proletar". 1939 wurde in Puwaks Elternhaus am Stadtrand das Kommunistische Parteikomitee von Reschitza gegründet, dem u.a. Bayerle, Breitenhofer, Muntean, Popet, Puwak, Virag angehörten. Sie gründeten nun in illegaler Parteiarbeit fast in allen Betrieben kommunistische Zellen, Grundorganisationen. Im Schnellabor stützte Puwak sich auf die Genossen: Dalea, Drukker, Focht, Schied. Im September 1940 protestierte die organisierte Arbeiterschaft mit einem Streik gegen die Machtergreifung der rumänischen Faschisten, der Legionäre, und ihre Versuche, die Arbeiterjugend zu beeinflußen. Der deutsche Botschafter Killinger reiste persönlich nach Reschitza, um sich Aufschluß über diese antifaschistischen Aktionen zu verschaffen und Druck auszuüben. Die Behörden ließen als Einschüchterungsversuch neun Aktivisten (darunter Puwak, Csuti, Drukker, Hromadka, Linder) verhaften und durch die Gefängnisse von Deva, Sibiu und Temeswar führen. 1941 wurden sie mangels belastender Beweise wieder frei: die Legionäre hatten in Temeswar versucht, das Gefängnis zu stürmen und die Antifaschisten zu lynchen. Im Jahre 1942 wurde seitens der RKP die Weisung ausgegeben, sich für den bewaffneten Widerstand und für eventuelle Sabotage - Akte gegen die faschistischen

Kriegsführer vorzubereiten, d.h. Waffen und Sprengmittel zu sammeln. Gewehre aus dem ersten Weltkrieg waren im Salasch eines Kraschowäner Brückenarbeiters vergraben worden, Jungkommunisten hatten aus den Aninaer Gruben Dynamit auf die Seite geschafft. Doch die Polizei bekam davon Wind, und als der berücktigte Folterer Tãflaru aus Bukarest eingesetzt wurde, verriet einer der jungen Leute die Aktion. Insgesamt 36 Personen, darunter fast alle Mitglieder des Parteikomitees, wurden verhaftet. Im März 1943 fällte das Temeswarer Militärgericht das Urteil: sechs Jahre Gefängnis für Josef Puwak. "Ich habe damals laut aufgelacht, die Genossen meinten, ich sei übergeschnappt. Aber ich war damals sicher, daß das Kriegsende und damit auch unsere Befreiung nicht sechs Jahre auf sich warten lassen würden". Nach der Schlacht bei Stalingrad war die Gefängnisleitung sichtlich verunsichert. Die kommunistischen und antifaschistischen Gefangenen durften im Garten am Arader Mieresch - Ufer arbeiten. Als sich dann am 25. August 1944 die Zellen öffneten - in Arad hatte Puwak u.a. die Genossen Geltz und Gilbert (den späteren Bauleiter des Bicaz-Staudamms) getroffen -, organisierten sie sofort in der Arader Waggonfabrik ein Meeting, klärten Maßnahmen zur Verteidigung der Stadt vor dem Rückzug der Nazitruppen. Auch in Reschitza galt es, Verteidigungsmaßnamen gegen die aus Serbien zurückrollenden deutschen Verbände zu treffen, eine Einheitsfront der sozialistischen und antifaschistischen Kräfte wurde gebildet. Gewerkschaftsschulen gegründet, neue Kollektivverträge mit den Privatbesitzern der Werke ausgehandelt, Ökonomate zur besseren Verpflegung der Arbeiter ins Leben gerufen. Puwak arbeitete in der Werkhalle, als haarscharf neben ihm ein Metallblock vom Brückenkrahn niedersauste. Zufall? 1947 wurde Puwak Vorsitzender der 24.000 Arbeiter umfassenden Gewerkschaft von Reschitza. Er wurde ins Zentralkomitee der rumänischen Gewerkschaften gewählt und 1948 stellvertretender Generaldirektor der Sowrom-Metall-Gesellschaft in Bukarest. Er gehörte ab 1949 zum Deutschen Antifaschistischen Komitee und war ab 1951 Ministerstellvertreter für Hüttenwesen. 1954 ging er als Generaldirektor der vereinigten Betriebe nach Reshitza zurück und mußte 1.700 Techniker und Beamte entlassen, darunter viele Freunde und ehemalige Arbeiter, die sich in den ersten

Nachkriegsjahren hoch - qualifiziert hatten. Schwierigkeiten und Härten einer jungen, unerfahreren Wirtschaftsplanung. Josef Puwak klappte zusammen und wurde mit schweren Magenblutungen ins Spital eingeliefert. Im Frühjahr 1956 ging er dann als Botschafter Rumäniens für fünf Jahre nach Berlin. Im Fotoalbum sehen wir ihn bei Staatsempfängen mit Pieck, Ulbricht, bei der Eröffnung der "I.L. Caragiale" -

Bibliothek in der Hauptstadt der DDR, bei Diplomatenjagden. Anschließend arbeitete er als Direktor der Bukarester Autobus-Werke und studierte drei Jahre lang an der Fakultät für Hüttenwesen. Bei der Umstellung auf neue Bautypen gab es manche Schwierigkeiten zu überwinden, japanische Spezialkugellager mußten vom Direktor herbeitelefoniert werden, weil die zentrale Versorgung und ihr Bürokratenapparat das nicht schaffte. Die letzten Jahre bis zur Rente arbeitete Josef Puwak als Direktor der "Grivita" - Werke. Wie sich der Reschitzaer mit den Bukarester Arbeitern hat verständigen können? Er ist täglich zwei bis drei Stunden in den Produktionshallen unterwegs gewesen, hat mit den Arbeitern, nicht nur den Meistern, gesprochen, kannte ihre Probleme und sorgte vor allem dafür, daß der Plan erfüllt werden konnte und die Lohntüte am Monatsende stimmte. Auch heute kommen ehemalige Arbeiter zu dem seit 1975 in Ruhestand getretenen Direktor. Viele Einzelheiten aus seiner Biographie kann man inzwischen in seinen sechs ("Auf Bären in den Karpaten", Erzählungen, 1964; "Halali", Jagderzählungen, 1968; "Bärensaga", 1974; "Die Flucht", Novellen, 1976; "Tigri, die Wildkatze", Tier- und Jagdgeschichten, 1979; "Majestätsbeleidigung", 1983; "Bärensaga" - ergänzte Neuauflage - , 1983), belletristischen Büchern lesen, Geschichten aus der Kindheit, Geschichten aus dem Arbeiterleben; aber auch Erlebnisse mit Tieren, Jagdabenteuer. Josef Puwak als Autor, das wäre ein Thema für sich. Neben den Fotoalben liegen auch zwei Skizzenmappen; Porträts und Karikaturen, die Puwak in der Gefängniszeit von Freunden mit Farbstift ausgeführt hat: Gropsanu, Vîlcu, Hauptmann, Wist, Sonntag, Muntean, Kästner... Namen werden genannt. Schicksale angeklungen; manche sind tot, einer kam mit einer Steinlunge von der Wiederaufbauarbeit zurück. Im Wohnzimmer hängt das Foto von Josef Puwaks Frau, sie starb im Vorjahr an einem Herzleiden. Aber nicht nur die tickende Wanduhr unterbricht heute die Stille im Haus, Freunde rufen an, die Enkelkinder brauchen ihren Großvater. Und der Schriftsteller Puwak hat neue Manuskripte verlagsfertig.