1974, im Aprilheft der Neuen Literatur", in der Sammlung Wire Wegbereiter",
wird Bossert erstmalig einem breiteren, freilich durch die besonderen Rezeptionsbedingungen
eingeschränkten, Publikum im Zusammenhang mit einer innovativen und
provokativen Vorstellung der Aktionsgruppe Banat" bekanntgemacht.Nach vier
Jahren Lehrertätigkeit geht er zurück nach Bukarest, arbeitet
zunächst als Programmgestalter am deutschen Kulturhaus Friedrich Schiller"
und ab 1981 als Verlagslektor bei den Verlagen Meridiane und Kriterion.
Im letztgenannten Kriterion - Verlag, spezialisiert auf die Literatur der
nationalen Minderheiten, erscheint auch sein Debütband siebensachen".
Die Gedichtsammlung enthält Texte, die zwischen 1973 und 1978 geschrieben
wurden. Bossert ist innerlich zerrissen, auf der Suche nach seiner Schreibweise,
nach Beschreibungsmöglichkeiten und der Bewältigung innerer Zustände.
Überdeutliche Stilmerkmale der Aktionsgruppe Banat" (1972-1975), wie
die Einflüsse der konkreten Poesie, namedropping (Bertolt Brecht,
Francois Villon) zeigen die feste Bindung und Vorbildwirkung der Ideen
der Banater Autorengruppe. Doch schon hier zeigt Bossert sein Talent, freche
ironische Texte zu schreiben, besonders gelungen in:sprichwörtlichesder
schwab ist kleinallein der zug ist groß
(S,11)
Bossert betrachtet schon hier die Sprache als Spielwiese": Elemente des Ausdrucks, der phonetischen oder orthographischen Ebene, Groteskes und Ironisches, Dialektales und Anspielungen auf Texte bekannter Autoren fließen ineinander. Themen sind die aus Bosserts Lebenswelt: der Alltag, Reisebeschreibungen von Fahrten in Rumänien, Freunde und Saufgelage, manchmal auch historische Bezüge, wie das an die Schwabenzüge" erinnernde bereits erwähnte sprichwörtliches".
In Bukarest veröffentlicht Bossert, neben verstreut in rumäniendeutschen
Publikationen erschienenen Gedichten, die Kinderbücher Mi und Mo und
Balthasar" (1980) und Der Zirkus. Ein Bilderbuch" (1982), sowie Übersetzungen
von
Victor Eftimiu, Gellu Naum und Mircea Zaciu4.
An Anerkennung fehlt es nicht: Er erhält eine Vielzahl von Preisen, wie 1979 den Literaturpreis des Verbandes der Kommunistischen Jugend oder 1982 den Übersetzerpreis des Schriftstellerverbandes 5.
Als dann 1984 Bosserts zweiter Lyrikband neuntöter"6
erscheint, leben die meisten Rumäniendeutschen in einem prekären
Zustand zunehmender kultureller Verunsicherung. Existentielle Bedrohung
und ein bei den meisten Autoren vorherrschendes Gefühl der Isolation
bedrohen die Menschen im einem Land im Endzustand. Die sich verschärfende
Lage der Ceausescu - Diktatur macht ein geregeltes kulturelles Leben fast
unmöglich. Intellektuelle, nicht nur die rumäniendeutschen, schwanken
zwischen Überlebensangst und Fluchtgedanken. Bosserts Freunde, wie
Herta Müller und auch Richard Wagner, haben sich mit diesem Zustand
zwischen Hoffen und Bangen, Bleiben und Gehen (was freilich eher eine Wahlmöglichkeit
der Rumäniendeutschen war), in ihren Büchern sehr häufig
auseinandergesetzt. Lanius collurio, der Neuntöter, gibt Rolf Bosserts
letzten in Rumänien erschienenen Gedichtband seinen Titel. Ein sprechender
Name: Der Neuntöter ist ein Unikum der Natur. Er spießt seine
Beute auf, um einen Vorrat anzulegen und sie portionsweise nach und nach
zu verspeisen. Analogien zu Vlad Tepes (= der Pfähler), der Pate für
Bram Stokers Draculafigur stand, und auch zu Ceausescu sind überdeutlich.
In diesem Band dominieren, anders als in dem eher kumpelhaft und suchend
wirkenden Erstlingswerk, Metaphern für einen bedrohlichen Wartezustand,
für eine Zwischenwelt, die sich irgendwo zwischen der Vergangenheit
und der Zukunft befindet.
Ich schreibe mir das Leben / her, schreib mir das Leben weg"
(N,8) scheinen dabei aus heutiger Sichtweise eine Schlüsselstellung
einzunehmen. Das Vertrauen in die eigene urwüchsige Kraft erscheint
erschüttert, ebenfalls das in die Macht der Poesie: Hoffnung schlägt
um in Wut und Verzweiflung:
Vier Anläuf vor dem SchlafengehnAnspucken möchte ich
die Sonne,doch die ist abgehaunin den goldenen Westen,schau, wies dort
glänzt. Die verlängerte Agonie des Tagesheißt Sommerzeit,
ist gesetzlich geregelt.
(N, 27)
Eine Besonderheit fällt ebenfalls ins Auge. Bossert schlägt, im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen, einen Ton an, der fast durchgängig von Verbitterung und Verzweiflung geprägt ist. Gefühlsausdrücke, verbunden mit dumpfer Sexualität (Stöhnend glimmts zwischen Plane und /Fleisch. Unter den Rippen ein Brand", N,31), expressiven Ausbrüchen (Anspucken", Wut", Ausspucken") und Gewalt (stumpfes Messer", Fäuste") zeigen eine verrohte Welt, die in seinen zumeist beschwingt wirkenden Gedichten Jahre zuvor fehlte.
Was bleibt Rolf Bossert, um die Wut, Verzweiflung und Trauer zu verarbeiten? In erster Linie das Schreiben, wie er uns in seinem Oktober 1983 in Rumänien verfaßten, posthum in dem in der BRD veröffentlichten Essai So entstand ein Gedicht. Eine Mitteilung aus der Praxis"7 verrät. Und da ist noch das Betäuben mit Alkohol. Anfänglich, vor allen im Debütband, wird Alkohol vom Autor mit Geselligkeit, Freunden und Lebensfreude verbunden. Jetzt wird er mit Metaphern des Verfalls, der stehenden Zeit und der Einsamkeit verknüpft. Für den Autor beginnt damit der stetige Verfall, der während des Wartens auf den Paß kulminiert. Hinzu kommt eine Angst vor der Securitate, welche nicht unbegründet ist. Wolf von Aichelburg beschreibt eine surreale Situation in Mein Standpunkt zur Literatur": (Er) wurde von einer Killerbande in Bukarest zusammengeschlagen, verlor dabei ein paar Zähne... Unglücklicherweise trug er wie der Dichter Petre Stoica einen roten Bart. Die Prügel galten Petre Stoica."8
Veröffentlichungsverbote, Schikanen gegenüber seiner Frau,
aber auch helfende Kontakte zum Goethe-Institut in Bukarest prägen
diese Zeit. Hier lernt er auch u.a. die bundesdeutsche Autorin Ingeborg
Drewitz kennen, die ihm später erste Kontakte zu bundesdeutschen Verlagen
vermitteln wird. Danach geht alles ganz schnell: Die Securitate nimmt ihm
November 1985 fast alle Manuskripte weg, zwei Tage später erhält
er sie unter Drohungen wieder. Kurz danach, am 22.12.1985, wird er aus
der rumänischen Staatsbürgerschaft entlassen und trifft am 23.12.1985
in der Bundesrepublik Deutschland mit seiner Frau und den beiden Kindern
ein, und bekommt sofort, mit einer kurzen Zwischenstation in einem Auffanglager
in Bayern, in Frankfurt / Grießheim eine Unterkunft zugewiesen. All
das, wofür früher ausgesiedelte, geflüchtete oder vertriebene
rumäniendeutsche Autoren gekämpft hatten, begleitet ihn im neuen
Land: hohe Medienpräsenz, Leserinteresse, sich solidarisch gebende
Schriftsteller und Einladungen zu Lesungen. In Interviews9,
Vorträgen gibt er sich kämpferisch und macht auf die angespannte
Situation seiner in Rumänien verbliebenden Freunde aus der Banater
Autorengruppe (Herta Müller, Richard Wagner, William Totok), aber
auch anderer Autoren (Franz Hodjak) aufmerksam. Dennoch wählt er am
17. Februar 1986 den Freitod. Er hat sich aus einem Fenster gestürzt.
Da die Todesursache unklar bleibt, kursieren Gerüchte über seinen
für viele unverständlichen Tod in der Presse. Da einige im Westen
lebende Autoren bereits anonym bedroht worden sind, vermuteten einige Kommentatoren
sogar einen Anschlag der Securitate. In den folgenden Monaten erscheint
eine Vielzahl von Nachrufen, die Bossert als einen begabten Dichter bewerten,
der bleibende ästhetische Werte mittels der Sprache geschaffen hat.
Einige Stimmen werfen ihm posthum menschliche Schwächen vor, besonders
verdeutlicht in Wolf von Aichelburgs verbitterter rethorischer Frage: Warum
hat sich Rolf Bossert umgebracht, der zum Märtyrer hochstilisiert
wurde?". Besonnener das Urteil von Franz Heinz, der eine Solidargemeinschaft
der im Westen lebenden Deutschen aus Ost- und Südosteuropa anmahnt:
"Wer Antworten sucht, muß sich selbst befragen, muß in Bosserts
Gedichten lesen. Schuldzuweisungen wollte dieser Freitod nicht auslösen.
Es wäre nicht wenig, wenn er uns wach halten würde füreinander
und gegeneinander."10 Herta Müller und Richard Wagner machen
später nach ihrer Ausreise in die BRD auf ein weiteres psychologisches
Moment aufmerksam, das Antworten auf offene Fragen geben könnte: Anders
als Rolf waren wir schon vorher zu Besuch in der Bundesrepublik gewesen.
Wir wußten, wohin wir gehen würden, während es für
Rolf die erste und einzige Auslandsreise war. Er hat immer nur diesen Bukarester
Druck erlebt." 11
Auf der Milchstraße wieder kein Licht" erscheint 1986 kurz nach
Bosserts Freitod und enthält eine Auswahl von Gedichten aus den beiden
zuvor in Rumänien erschienen Gedichtbänden und mit Karpaten,
gekrümmt" eine Textsammlung aus dem Nachlaß des Autors. Dem
Lyrikband angeschlossen sind außerdem zwei Essais, die die unterschiedlichen
Lesarten der aus Rumänien kommenden Deutschen mit denen der Bundesbürger
verdeutlicht. Gerhardt Csejka versucht behutsam und betroffen in Draußen,
daheim. Ein Ortungsversuch." Bossert aus seiner Herkunft aus Reschitza
zu erklären. Guntram Vesper dagegen bemüht sich in seinem Vorwort
Fremde Gegend, schwere Stille. Zu Rolf Bossert und seinen Gedichten" redlich,
den Autor aus seiner Zerrissenheit als deutscher Autor aus Südosteuropa
zu begreifen, scheitert dabei aber an Sachunkenntnis. Ein nochmaliges Leseerlebnis
dieses Bandes scheint den Eindruck zu erwecken, daß Bosserts Verzweiflung
und Todessehnsucht in den Texten ihren Niederschlag gefunden haben. Besonders
bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang folgendes Gedicht: :
Elegie1Ohne Fugklemmt das Land, ichsteh da2(In der Sanduhrrieselt die Axt)3Zwischen den Mauernder Hautlärmt ein Wasser.
(M, 95)
Vermutlich ist es eine Rohfassung, durch die tragischen Begleitumstände aber umso interessanter. Elegie - ein Abgesang, ein Abschied vom alten Land, welcher keinen Neuanfang bedeutet. Unter der Dickfelligkeit" der Haut pocht das Blut, das lyrische Subjekt ist im Lebenskreis unterbrochen. Die Zeit vergeht und der Tod kommt näher.
Es ist natürlich vermessen, zu behaupten, daß man Bosserts Selbstmordabsichten in seinen letzten Texten hätte erkennen müssen. Im Widerspruch dazu steht jedoch eine nach außen gezeigte überschäumende Vitalität, welche oft bei verängstigten, verunsicherten Menschen als pathologischer Fall anzutreffen ist. Ohne Zweifel besaß Bossert auch eine gehörige Portion Sensibilität, die in zugespitzten Lebenssituationen ein Hindernis sein kann, vor allem, wenn man wie Bossert aus den bisherigen Lebensumständen - seine Freunde blieben vorerst zumeist in Rumänien - gerissen wurde. Dieter Schlesak hat schon 1970 in seinem zu Unrecht vergessenen Bändchen Visa. Ost. West. Lektionen"12 auf diese psychologischen Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Dieses, trotz des linken utopischen Tones, hochaktuelle Buch, liefert etliche Erklärungsmuster für Rolf Bosserts Zerrissenheit zwischen dem alten Land (Rumänien") und dem neuen (Deutschland"), welches sich in einem Schwebezustand" der Entwurzelung spiegelt. Diese Zerrissenheit setzt den aus der östlichen Welt Kommenden, so Schlesaks These, besonderen psychischen Härten aus, die sein bisheriges Bild der westlichen Gesellschaft schmerzhaft zum Einsturz bringen, ohne dafür ein Äquivalent zu schaffen. Das Wohnen ist kein Ort- Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Gegenden versuchter Ankunft" heißt ein 1987 von Ernest Wichner herausgegebenes Sonderheft der Zeitschrift Die Horen", welches mit dem unmißverständlichen Untertitel In memoriam Rolf Bossert" längere Sequenzen zu und von dem Autor enthält. 13 Natürlich finden später einige seiner Gedichte weiterhin Aufnahme in Anthologien oder Zeitschriften, jedoch nimmt deren Anzahl im Verlaufe der Jahre ab. Doch warum, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, ist dieser Autor vergessen? Ohne Zweifel war Rolf Bossert ein talentierter Autor. Seine metaphernreichen Texte entziehen sich jedoch dem ungeübten Leser, sie wirken sperrig, direkt und manchmal vulgär. Man benötigt Hintergrundwissen zu seiner Herkunft aus dem multiethnischen Gefüge des Banater Berglandes, seiner Vita und Zeit, um diese sich dem Leser zu entwinden versuchenden Strukturen aufzulösen. Im Rückblick auf die späten 80er Jahre ist Bossert zusätzlich mit der völligen Einbindung seiner Texte in die zugespitzte politische Lage in Rumänien und der Transformation der Probleme des in Erstarrung verharrenden Landes ein Bärendienst erwiesen worden. Als das Medieninteresse sich von Rumänien weg auf andere Themen konzentrierte, erlosch auch die Bereitschaft der meisten Leser, sich auf diese Art Literatur einzulassen. Diejenigen Autoren, deren Schicksal stark mit diesen politischen Ereignissen verknüpft wurde, verloren jetzt zumeist ihre Medienpräsenz. Man kann nur hoffen, daß Bosserts gelungene Texte wieder eine Neuauflage und mehr Beachtung finden werden. Vor allem Sie hier im Banater Bergland sollten nochmals ein Buch dieses talentierten Autors zur Hand nehmen, und Gedichte wie Erinnerung an die Stadt R.", gemeint ist natürlich Reschitza, lesen, in dem er spitzbübisch schreibt:
Lokomotiven Hallen Hohe Öfenschwarz wie Humor, wieGalle grün.
Den Herrgottüberlistet, an Seinem Tag, mitRucksack oder Raki, ein
Lieddavon gesungen.
(N, 9).
1 Rolf Bossert: Auf der Milchstraße wieder kein
Licht. Eingeleitet von Guntram Vesper. Nachwort von Gerhardt Csejka. Berlin
1986 (=M).
2 Rolf Bossert: siebensachen. Gedichte. Bukarest 1979 (=S).
3 Wie bereits erwähnt, wurde das Gedicht um 1975 geschrieben und in der bundesdeutschen Zeitschrift Akzente" 6 (1976), veröffentlicht.
4 Kinderbücher: Mi und Mo und Balthasar. Kinderbuch. Bukarest 1980; Der Zirkus. Ein Bilderbuch. Bukarest 1982 / Übersetzungen: Victor Eftimiu: Märchen. Bukarest 1980; Gellu Naum: Der Pinguin Apollodor. Bukarest 1980; Mircea Zaciu: Ion Agârbiceanu. Bukarest 1983.
5 Weiterer Preis: Preis des Landesverbandes der Pioniere (1980),
6 Rolf Bossert: neuntöter. Gedichte. Klausenburg 1984 (=N).
7 Rolf Bossert: So entstand ein Gedicht. Eine Mitteilung aus der Praxis, in: die horen. Zeitschrift für Literatur und Kunst. 3 (1987), S. 35 - 41.
8 Wolf von Aichelburg: Mein Standpunkt zur Literatur, in: Banat -Ja - Extrablatt. Bonn/Temeswar H. 1993/94, S. 4.
9 Vgl. u.a.: Der Exitus der deutschsprachigen Literatur Rumäniens. Ein Gespräch mit Rolf Bossert, geführt von Gisela Lerch am 11. Februar in Berlin, in: Frankfurter Rundschau, 20.2. 1986, S. 7
10 Franz Heinz: Ein Dichter sagte nein. Zum Tode von Rolf Bossert, in: Kulturpolitische Korrespondenz 66. 5.3.1986, S. 19.
11 Jetzt hoffen die Rumänen auf Gorbatschow". Die Schriftsteller Herta Müller und Richard Wagner über die deutsche Minderheit im Ceauescu - Staat, in: Der Spiegel, 4.4.1987, S. 160.
12 Dieter Schlesak: Visa. Ost. West. Lektionen. Frankfurt am Main 1970.
13 Das Wohnen ist kein Ort- Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Gegenden versuchter Ankunft / In memoriam Rolf Bossert. Herausgegeben von Ernst Wichner, in: Die Horen. 3 (1987). In einer Neuauflage dieser Anthologie einige Jahre später sind etliche Texte Bosserts herausgenommen worden.
* Aus objektiven Gründen konnte Dr. Thomas Krause nicht an den Literaturtagen teilnehmen. Erfreulicherweisen stellte er seinen Vortrag uns für Veröffentlichung zur Verfügung. (Erwin Josef Þigla)