Hermannstadt
Auf drei Momente in der neueren Geschichte Banatschwäbischer und
- wie man sehen wird - Berglanddeutscher Literatur möchten wir im
Folgenden unsere Aufmerksamkeit konzentrieren und zwar jeweils anhand eines
für den betreffenden Zeitabschnitt kennzeichenden Vertreters. 1. Zunächst
auf die sozialutopische Auffassung von Literatur, die - mit ihrem kämpferischen
Gestus und dem in ideologischen Schulungen angelernten Optimismus - während
der fünfziger und sechziger Jahre zum Regelwerk des sogenannten volksdemokratischen"
Regimes und seiner Kulturpolitik gehörte. Wir verknüpfen unsere
Anmerkungen mit dem Autorennamen Anton Breitenhofer (1912 - 1989).2. Weiterhin
sei an die allmähliche Befreiung von den Äußerlichkeiten
doktrinärer Kunstpraxis und an die behutsam vollzogene Ausweitung
literarischer Thematik auf unschabloniertes Empfinden erinnert, an diesen
Qualitätsgewinn in den sechziger und siebziger Jahren. In den Mittelpunkt
des skizzenhaften Rückblicks stellen wir die Dichterin Irene Mokka
(1915 -1973). 3. Schließlich wollen wir auf die Perspektivelosigkeit
und den Ausdruck von Pessimismus und Resignation hinweisen, der sich in
manchen Kreisen rumäniendeutscher Bevölkerung während der
achtziger Jahre kundtat. Und da gleiten unwillkürlich die Gesichtszüge
von Rolf Bossert (1952 - 1986) in unser Blickfeld.1. Autor XY ließ
den ihm befreundeten Autor NN wissen, er glaube, dieser habe sich durch
Text und Gespräch auf ein Glatteis begeben, auf dem Dich diese Leute
haben wollten, um Dich in ihre Hände zu bekommen. Ich fürchte,
Du hast zwischen Vorsicht und Zivilcourage nicht den richtigen Ausgleich
gefunden. Ich kann Dir nicht verschweigen, dass ich mir ernste Sorgen um
Dich mache, und will Dich zur Vorsicht und Zurückhaltung im Umgang
mit allen diesen Leuten mahnen". Einige Jahre später brachte Autor
NN in einem streng vertraulich" bezeichneten Brief an Autor XY das Faktum
zur Sprache, er - Autor NN - habe dazu beitragen können, ihm - dem
Autor XY - zur Freiheit zu verhelfen, und zwar in einem langen Gespräch,
das ich zur Zeit Deiner Verhaftung in meiner Wohnung mit [Emmerich] Stoffel
führte". Beide Briefstellen, keineswegs aus einem Kriminalroman gegriffen,
sondern höchst authentisch, werfen bezeichnende Lichter auf das literarische
Leben während der Ära Gheorghe Gheorghiu-Dej. Man musste als
Autor sehr genau überlegen, was man sagte und ob man nicht die recht
eng gezogenen Grenzen der Meinungsäußerung überschritt.
Man musste reiflich bedenken, wem man etwas Belangvolleres anvertraute,
und tat gut, gegebenenfalls Warnungen wohlmeinender Personen nicht in den
Wind zu schlagen. Dies zum einen. Zum anderen trat nicht selten der Fall
ein, dass man sich als Schreibender, nach Meinung verschiedener Aufpasser
und Zwischenträger, über die Grenzen des ideologisch Zulässigen
hinweggesetzt hatte, und dann gab es oft keinen anderen Ausweg, als an
einen Funktionsträger des volksdemokratischen" Regimes zu appellieren
und ihn um Beistand zu ersuchen. Es fiel der Name Emmerich Stoffel, und
tatsächlich hatte dieser Überzeugungs - Kommunist, der, nach
innen- und außenpolitischen Missionen, zum Chefredakteur der Zeitschrift
Neue Literatur ernannt worden war, genügend Rückhalt,
um sich für verschiedene in Misskredit geratene Leute einzusetzen,
und er scheute - wie von diesem oder jenem bezeugt wurde - solche Interventionen
nicht, u. a. um XY, einen hier ungenannten Autor, aus Untersuchungshaft
zu befreien. In ähnlicher Rolle sah man auch Anton Breitenhofer. Er
war ja im Staatsaufbau an wichtiger Stelle und konnte, so er es als zweckmäßig
erachtete, seinen Einfluss geltend machen. Mitte der siebziger Jahre war
er - laut Eduard Eisenburgers Evidenzen (im Band Heimatbilder) -
Mitglied im ZK der RKP, Stellvertretender Vorsitzender des Rates der Werktätigen
deutscher Nationalität, Mitglied im Landesrat der Front der Sozialistischen
Einheit in der SR Rumänien, Korrespondierendes Mitglied der Akademie
für politische und soziale Wissenschaften, Held der Sozialistischen
Arbeit und Träger der Goldmedaille Hammer und Sichel". (Eduard Eisenburger:
Heimatbilder. Bekanntes und weniger Bekanntes über die Rumäniendeutschen.
Cluj-Napoca: Dacia Verlag, 1976, S. 341 -353.) Hinzu kommt seine Tätigkeit
im Rahmen des Deutschen Antifaschistischen Komitees, die 1949 seine Übersiedlung
von Reschitza nach Bukarest veranlasst hatte, sowie als Abgeordneter der
Großen Nationalversammlung.Lange Zeit hindurch (1954 - 1976) war
er Chefredakteur der Tageszeitung Neuer Weg und als solcher in vielen
Belangen, die seine Leserschaft betrafen, ansprechbar - nicht zuletzt in
Passangelegenheiten, die zu regeln es dazumal wahrlich titanischer Anstrengungen
bedurfte. Er war entgegenkommend, hielt sich mitunter jedoch vollends zurück,
und so - um ein Beispiel zu geben - erscheint sein Name nicht in der Dokumentation
des 1959 in Kronstadt geführten Schriftsteller - Prozesses, nicht
also im Buch Worte als Gefahr und Gefährdung. Fünf deutsche
Schriftsteller vor Gericht (hrsg. von Peter Motzan und Stefan Sienerth.
München: Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, 1993).Der Prosaautor
Erwin Wittstock (1899 - 1962) hatte zu Anton Breitenhofer ein kollegiales
Verhältnis. Es reichte über die Förderungen hinaus, die
der Funktionär in gesellschaftlich - volklich -kulturellen Dingen
erwirken konnte, war also nicht nur geschäftlich - dienstlicher Natur,
sondern etwas mehr, im Sinne persönlicher Aussprache, die freilich
beträchtliche Unterschiede weltanschaulicher Natur zu überbrücken
hatte. Dank solchen auf die Person und weniger auf die Institution zugeschnittenen
Meinungsaustauschs erschöpfte sich die Beziehung auch nicht in der
Bewältigung persönlicher Schwierigkeiten, also etwa in der Tatsache,
dass Breitenhofer half, Angelegenheiten günstig zu erledigen, die
das schriftstellerisches Fortkommen Wittstocks und sein gesundheitliches
Befinden betrafen. Dennoch will damit noch nicht behauptet werden, die
Kontakte zwischen ihnen hätten zu einem stets anspruchsvollen, beiderseits
ergiebigen Dialog über das schriftstellerische Metier geführt
- biographisch begründbare Differenzen verhinderten einen tieferschürfenden
Dialog. Immerhin gab der dreizehn Jahre jüngere Breitenhofer zu Protokoll,
es sei gewissermaßen" Wittstock gewesen, der ihn ermutigte, über
das Leben der Arbeiter zu schreiben. An einem Winterabend in Predeal, während
draußen der Sturm heulte, sprachen wir über die Lebensweise
des Industriearbeiters zum Unterschied von der des Bauern und des Kleinbürgers,
wobei ich einiges aus meiner Heimatstadt Reschitza erzählte. Wittstock
unterbrach mich und sagte: ,Schreiben Sie doch darüber. Diese Thematik
ist in unserer Literatur sehr selten. Wenn es Ihnen gelingen würde,
so zu schreiben, wie Sie es eben erzählt haben, leisten Sie bestimmt
etwas Gutes`." (Anton Breitenhofer:
Zeitbilder. Reiseaufzeichnungen und Reportagen aus Europa und Asien.
Bukarest: Kriterion Verlag, 1979, S. 256.)Einen dokumentarischen Beleg
dieses Erinnerungsbilds haben wir in einem Brief, den Breitenhofer am 11.
Januar 1954 an Wittstock richtete: Ich möchte an die mit Ihnen kürzlich
geführte Aussprache über Fragen der Literatur anknüpfen
und Ihnen vor allem für Ihre Hinweise danken, die mir für mein
eigenes literarisches Schaffen von großem Nutzen sein werden." Die
weitere Korrespondenz zwischen Breitenhofer und Wittstock lässt Existenzielles
in den Vordergrund treten, das heißt die materielle und geistige
Existenz des Schriftstellers, der unter ideologisch straffen Bedingungen
stets von Neuem entscheiden musste, ob ein Mitwirken an der volksdemokratischen"
Kulturpolitik mit den eigenen Überzeugungen vereinbar war. Solches
galt gleichermaßen den Banatern wie den Siebenbürgern und Bukarest
- Deutschen, und es kam deshalb die Frage nach einem gemeinsamen Nenner
der geistigen Bestrebungen auf. Dieser Nenner der Gemeinsamkeit ließ
sich - außer im künstlerisch gesetzten Wort - wohl am ehesten
in den Zielen der Pädagogik und Erwachsenenbildung finden, wenn auch
die diesbezüglichen Begriffe und Vorstellungen bei den einzelnen Lehrern,
Schriftstellern, Journalisten durchaus unterschiedlich ausgeprägt
sein konnten. Hob Anton Breitenhofer eine verantwortungsvolle Erziehungsarbeit"
in den Reihen der deutschen Bevölkerung in der Rumänischen Volksrepublik
hervor (in einem Brief an Wittstock, 3. November 1954), so meinte er wohl
nicht ganz dasselbe wie Wittstock, der von der Erziehung der Menschen unseres
Lebensbezirkes zu Rechtschaffenheit, Heimatliebe und gutem Willen" sprach
(Brief an Breitenhofer, 12. Januar 1957). Und doch konnten Intellektuelle
älterer und jüngerer Generationen sich im didaktischen Bereich
(die Erziehung zum Verständnis des literarischen Ausdrucks inbegriffen)
ohne Preisgabe eigener Anschauungen entgegenkommen. 2. In den Lebensdaten"
der Irene Mokka, beigegeben ihrem Band in der Reihe Die schönsten
Gedichte", lesen wir bei der Jahresangabe 1955: Beginn einer fruchtbaren
literarischen Korrespondenz mit dem Dichter und Komponisten Wolf Aichelburg,
der zahlreiche ihrer Gedichte vertonte." (Irene Mokka:
Gedichte. Geleitwort von Alfred Kittner. Bukarest: Albatros
Verlag, 1977, S. 20 - 21.) Ohne Einblick in diesen Briefwechsel können
wir vermuten (allerdings im Bewusstsein, wie wenig derartiges Spekulieren
zählt), die Verse der Temeswarer Schriftstellerin seien von dem Hermannstädter
Poeten Wolf von Aichelburg (1912 - 1994) voller Wohlwollen, mitunter gar
allzu schonend beurteilt worden. Gewöhnlich etwas strenger im Urteil
war der ebenfalls in Hermannstadt ansässige Germanist Harald Krasser
(1906 - 1981), dem um die Jahreswende 1962 / 63 ein Typoskript von Irene
Mokka zur Begutachtung vorlag.
Wir möchten den Kommentar Krassers und die schriftliche Reaktion
der Dichterin ausgiebig zitieren, vorher allerdings einiges zu den Gegebenheiten
anmerken, in die jene längeren brieflichen Aussagen eingebettet sind.
Aus allerhand mit dem Pseudonym Grete Gross gezeichneten Zweit- und Drittrangigkeiten,
hinter denen wir mitunter die zeittypischen Koordinaten des sozialen Auftrags"
volksdemokratischer" Prägung erkennen, dokumentiert auf nicht wenigen
Prosablättern der zweibändigen Werkausgabe (Irene Mokka: Das
Schlüsselwort. Bd. I - II. Hrsg. von Helge Hof. Bukarest: Kriterion
Verlag, 1985), fand Irene Mokka, geborene Albert, verwitwete Fassel, nach
und nach zu einem persönlicher geprägten Ausdruck und zwar in
dem Maß, in dem sie sich auf Beobachtung und Aussage intimerer Bereiche
einstellte bzw. einstellen durfte, denn Innenleben, subjektive Schau waren
nach und nach als mit dem offiziellen literarischen Konzept vereinbar erklärt
worden. Ihr Dichten, nunmehr guten Gewissens als Zeugnis künstlerischer
Sensibilität verstanden, fand zunehmend Anklang, auch in Siebenbürgen.
Den Kontakt zu Harald Krasser hatte nicht sie selbst, sondern ihr Gatte,
der Sänger Hans Mokka (geb. 1912) hergestellt, der auch die Korrespondenz
mit Krasser unterhielt. (Briefschaften aus den Jahren 1960 - 1975, also
annähernd bis zur 1976 erfolgten Emigration Krassers, sind in dem
von mir verwahrten Hermannstädter Teilnachlass des Germanisten vorhanden,
darunter die im Folgenden angeführten beiden Schreiben. Unsere Aufzeichnungen
können übrigens als Ergänzung eines eigenen Aufsatzes gesehen
werden:
Porträtskizze eines Rezensenten. Zum handschriftlichen Nachlass
von Harald Krasser. In: Neue Literatur, 39. Jg., 1988, Heft
7, S. 72 - 75.)Am 18. Januar 1963 schrieb Harald Krasser nach Temeswar
u. a.: [...] Ich bedauere sehr, dass wir uns nicht mündlich, die Gedichte
vor unsern Augen, darüber aussprechen können. Das wäre die
für Sie fruchtbarste und unmissverständlichste Weise, Ihnen zu
sagen, was ich zu Ihren Gedichten zu bemerken habe. So musste ich zu der
Methode greifen, die ich seit jeher bei der Durchsicht von Gedichten anwandte:
eben auf das betreffende Blatt neben und unter das Gedicht meine Bemerkungen
zu schreiben in der Hoffnung, dass sie ohne mündliche Erläuterungen
verstanden werden. Ich bitte Sie auch, die Unverblümtheit des Tones
mir zugutezuhalten, in dem diese schlagwortartigen Bemerkungen abgefasst
sind. Es sind eben spontane, unter dem augenblicklichen Eindruck hingeworfene
Bemerkungen, die aber - nach meiner Erfahrung - für den Autor oft
förderlicher sein können als lange Exkurse. Lassen Sie mich auch
gleich aussprechen, dass ich meinen Urteilen
keine absolute Gültigkeit beimesse, dass zudem während der
letzten Monate meine kritische Empfänglichkeit für Lyrisches
- wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste - nicht ganz auf der Höhe
war. Ich glaube, trotzdem einiges angemerkt zu haben, was Ihnen von Nutzen
sein kann. Im Übrigen wäre es mir nicht uninteressant gewesen,
die Chronologie der Entstehung dieser Gedichte zu kennen.Sie sehen, dass
ich unter eine ganze Reihe von Gedichten das ,Ja` meiner Zustimmung geschrieben
habe oder mit dem Strich rechts oben mein Einverständnis zum Ausdruck
gebracht habe. Ich glaube, am stärksten sind Sie dort, wo Sie mit
sparsamen Worten und sicheren Strichen eine Impression aus der sichtbaren
Welt festhalten. Ihre Gefahr ist es, Gedachtem statt Gedichtetem Einlass
in Ihre Verse zu gewähren und - im Sprachlichen - vorgeprägte
Formeln und Formen anderer, übermächtig auf Sie einwirkender
Dichter zu übernehmen. So klingt manchmal Rilke in peinlicher Weise
durch. Machen Sie sich frei davon. Ringen Sie sich durch zu Ihrer eigenen
Dichtersprache. Hüten Sie sich aber gleichzeitig davor, gewissen Wörtern
und Wendungen, für die Sie eine Vorliebe haben, manieristische Vorrechte
einzuräumen. Man hat eine Schwäche für sie, sucht sie immer
wieder anzubringen, auch wo dazu keine zwingende Notwendigkeit besteht
(und im großen Gedicht hat jedes Wort und jede Wendung zwingende
Notwendigkeit!). Mir erscheint nach dieser Richtung gefährlich Ihre
Vorliebe für Adjektive im Komparativ - ich glaube, sie kommt auch
von Rilke her -, für Imperative, für die direkte Anrede an lebende
und leblose Dinge, für die Wörter ,wagen` [...], ,lenzen` [...],
,Aufgesang` [...] u. a. Verstehen Sie mich recht: ich sage nicht, dass
die angeführten Stilmittel und Wörter dort immer falsch am Platze
sind, wo sie bei Ihnen stehen. Aber hören Sie einmal auf das oben
Gesagte hin Ihre Gedichte durch und beschneiden Sie Manieristisches dort,
wo Sie es feststellen. Ich bin überzeugt, dass Sie dazu die nötige
Selbstkritik und -kontrolle aufbringen.Noch etwas: es ist mir aufgefallen,
dass bei Ihnen oft die Schlussstrophe die schwächste ist. (Das ist
mir insoweit sympathisch, als mir Gedichte unleidlich sind, die auf einen
Knalleffekt am Ende hin gebaut sind.) Ist es ein Nachlassen des schöpferischen
Impulses, der inneren Spannung, vielleicht auch manchmal eine Unsicherheit
darin, worauf Sie mit dem Gedicht eigentlich hinauswollen? Manche Ihrer
Gedichte versickern, andere bringen eine krampfhafte Schlusswendung, die
nicht hingehört und in einen falschen Ton das Gedicht ausschwingen
lässt. Nehmen Sie sich also der Gedichtausgänge besonders an.
Da sehe ich, dass kritische Beanstandungen und Mahnungen überhandnehmen.
Das darf und soll Sie nicht einschüchtern. Diese sind ja das für
Sie Wichtige und Förderliche. Ebenso sollen gehäufte Bemerkungen
zu einigen Gedichten Sie nicht veranlassen, sie zu verwerfen, sondern es
[vielmehr: sie] mit wacheren Sinnen wieder vorzunehmen. Oft sind die missglückten
Gedichte die interessanteren, gerade weil man an einer größeren
und schwereren Aufgabe gescheitert ist. Ich empfehle Ihnen also, sobald
Sie sich mit meinen Bemerkungen auseinandergesetzt haben und sich, soweit
Sie ihnen zustimmen konnten, zu Verbesserungen und Überarbeitungen
haben anregen lassen, den Band für den Verlag zusammenzustellen, wobei
es auch gut sein wird, Anordnung und Reihenfolge der Gedichte zu überlegen.
Es ist nicht unwesentlich, in welcher Reihenfolge sie dem Leser entgegentreten.
Auch ihre Zusammenfassung in Untergruppen wäre zu überlegen.
[...]"Der Antwortbrief wurde von Irene Mokka am 26. Januar 1963 geschrieben.
[...] Ich muss gestehen: ich habe Ihren Brief mit den durchgesehenen Gedichten
nicht ohne Herzklopfen geöffnet. Ihrem Urteil voll vertrauend, hätte
ich auch ein Todesurteil der Sachen hinnehmen müssen. Nun, es ist
nicht so schlimm ausgefallen!Jetzt erst konnte ich überschauen, wie
viel Arbeit ich Ihnen aufgebürdet habe. Ich fühle mich sehr in
Ihrer Schuld. Sie haben sich meiner Arbeiten mit so viel ehrlicher Hilfsbereitschaft
angenommen. Wie soll ich Ihnen danken? Und nicht allein für all die
Arbeit, sondern auch für die Art der Vermittlung des Ergebnisses.
Jedes Wort in Ihrem Brief ist wohlgemeinter Hinweis, und wo immer die Kritik
den unvermeidlichen Stachel zu tragen schien, wussten Sie gleich mit einer
aufmunternden Wendung zu glätten. Dennoch hatte ich nie das Empfinden
eines mitleidigen Schonen-Wollens. Zu allen Ihren Bemerkungen kann ich
nur ,Ja` sagen. Und dies ohne Niedergeschlagenheit oder Entmutigung. Mit
Ihrer Hilfe sehe ich alle Fehler ein. Ich konnte mich bei der Durchsicht
Ihrer Bemerkungen eines peinlichen Gefühls nicht erwehren, Ihnen solches
vorgelegt zu haben. Wie recht haben Sie vor allem mit Ihrem Hinweis auf
,Gedachtes` statt ,Gedichtetem`, auf manieristische Wendungen, auf meine
Vorliebe für Imperative. Wo Sie mir [Rainer Maria] Rilke, [Rudolf]
Binding u. a. nachwiesen, da wurde ich ehrlich betroffen. Mit welcher Eindringlichkeit
müssen sich solche Worte der Großen im Unterbewusstsein verwurzeln,
da ich beide Dichter in den letzten Jahren kaum gelesen habe. Auch Ihrer
Meinung zu den Schlussstrophen muss ich voll beistimmen. Ich weiß
wohl immer, was ich sagen will, es geht mir nur um das zu Sagende. Dennoch!
Der ,dichterische Atem`, die Gestaltungskraft reichen eben nicht aus. Ob
mir zu all der Einsicht nun auch die Gabe wird, [es] besser zu machen -
ich weiß es noch nicht. An meiner Bemühung soll es nicht fehlen.
Der Staatsverlag liegt noch, glaube ich, bei so viel Missglücktem,
in weiter Ferne. Die Chronologie der Entstehung wäre Ihnen nicht uninteressant
gewesen? Nun, ich habe aus 2 Abschnitten Gedichte ausgewählt, einige
in der Eile hinzugefügt. Manche Verworrenheit ist durch Aufgepfropftes
entstanden. Ich hätte manches erklären - natürlich nicht
entschuldigen - können. Es bleibt mir vorerst nichts anderes [übrig],
als Ihnen für Ihre Arbeit und Ihre freundschaftliche Hilfe ein ganz
schlichtes, aber umso innigeres ,Danke` zu sagen. [...]"Zehn Jahre später
ist Irene Mokka gestorben (am 12. Februar 1973), überraschend für
ihre Umwelt, vorzeitig mit Blick auf ihr Alter (sie stand im 58. Lebensjahr).
Hans Mokka schrieb am 19. Februar 1973, wenige Tage nach ihrem Ende, an
Krasser, dieser habe eine ernste Verehrerin und Freundin Ihres Wissens"
verloren. Das Begräbnis, fügte er hinzu, war das eines Monarchen,
eine unübersehbare Trauergemeinde und vier Redner, die den Menschen
und Dichter würdigten. Ich wusste gar nicht, dass ich plötzlich
eine so berühmte Frau verlor. Merkwürdig, dass der Tod, ganz
gegen Irenes Willen, diese Wirkung auslöste. Sollte das Bescheidene
und Ernste noch solch eine Wirkung auslösen? Dann wäre es gut."3.
In einer Erzählung - einer 1988 erstmals veröffentlichten Märchennovelle",
Peter Gottliebs merkwürdige Reise betitelt - deutete ich
eine mythische, also unpolitische, zumindest nicht vorrangig politische
Erklärung des Freitods an, der einen Dichter betraf, bei dem ich an
Rolf Bossert und sein Schicksal gedacht hatte. Der Nachtmahr, der gespenstische
Alb, das heißt die Personifikation jener düsteren Empfindungen
und schreckerregenden Gedankenbilder, die uns aus sogenannten Albträumen
bekannt sind, haben dem in der Erzählung erwähnten Schriftsteller
so zugesetzt, dass er seinem Leben ein Ende bereitet. Eine Episode der
Märchennovelle" spielt sich in Frankfurt ab, eben dort, wo Rolf Bossert
starb. Im Verlauf der Schilderung gibt es diesen Passus: War es nicht der
Nachtmahr gewesen, der hier im Ort einen aus südöstlichen Breiten
stammenden Dichter so behelligt hatte, dass dieser sich aus dem hochgelegenen
Fenster der Wohnung in den Hof hinabstürzte und zu Tode fiel?" (Spiegelsaal.
Skizzen, Erzählungen. Bukarest: Kriterion Verlag, 1994, S. 184.)Rolf
Bosserts Selbstmord allein politisch zu motivieren, diese Verzweiflungstat
unmittelbar aus den Auswüchsen eines tyrannischen Regimes abzuleiten,
hat mich nie recht befriedigen können, obwohl eine ganze Reihe von
Fakten eine solche Interpretation stützt. Politik im affirmativen,
mehr noch im abwehrenden Sinn spielt in seinem Leben und Sterben zweifellos
eine bedeutende Rolle, und doch ist noch an viele andere Umstände
existenzieller Art zu denken, will man sich einen Reim auf den vorzeitigen
Abgang dieses Poeten machen. (Über die politische Komponente seines
Todes wie auch über das Ableben des ebenfalls durch Selbstmord geendeten
Roland Kirsch - geb. 1960, gest. 1989 - habe ich, ohne die gesellschaftlichen
Begründungen zu sehr zu betonen, in einem Aufsatz einiges angemerkt:
Die Emigration nach innen und andere Ortsveränderungen. In:
Neue Literatur, Jg. 41 - 42, 1990 - 1991, Nr. 7 - 8, S. 108, 114
- 115.)Der nach Rolf Bosserts Tod in Berlin erschienene Gedichtband
Auf der Milchstraße wieder kein Licht (eingeleitet von Guntram Vesper. Nachwort von Gerhardt Csejka. Rotbuch Verlag, 1986) wurde mir von Gudrun Bossert, von der jäh zur Witwe gewordenen Ehefrau, zugeschickt. Am 5. Februar 1987 schrieb ich ihr:[...] In wenigen Tagen wird sich ein Jahr erfüllen, seit Ihr Mann aus dem Leben schied. Erlauben Sie, dass ich einige Zeilen an Sie richte, die von der Erinnerung an ihn eingegeben sind.Seine Physiognomie hat sich meinem Gedächtnis deutlich eingeprägt, vermutlich, weil ich ihn nicht häufig sah und er für mein Auge kaum durch alltägliche Begegnung an ursprünglicher Individualität verlor. Ein häufigerer Umgang hätte freilich eine tiefere Kenntnis seines Wesens ermöglicht, zu der ich es nicht gebracht habe. Unsere Begegnungen waren sämtlich von literarischen Veranstaltungen verursacht worden, sie beschränkten sich auf kurze oder längerwährende Gespräche vor und nach Lesungen oder Kolloquien. Mit Entschiedenheit und zwanglos, sowohl im kleinen Kreis als auch vor Publikum, trug er seine Meinungen vor. Es ließ sich dabei leicht feststellen, dass ihn das Feierliche und Hochtrabende störte; seine Stärke lag weniger im Begrifflichen als im Gegenständlichen; das Volkstümliche in unscharfer Einstellung, wie es sich gelegentlich auch auf den Mundartdichtertreffen produzierte, missfiel ihm - und doch kam er zu solchen Treffen, auf der Suche nach lohnender Ansprache und Mitteilung. Auf Ansprache und Mitteilung, auf Rede und Gegenrede war er ausgerichtet, auf die oft flüchtigen, trügerischen Voraussetzungen des geschriebenen Wortes. In dieser Hinsicht unterschied ich mich von ihm: selbst keine parlamentarische Natur und im Grunde nicht dialogisch veranlagt, war die Wortmenge, die mir für ein Gespräch zu Gebot stand, mitunter schon verbraucht, wenn er noch bei den Präliminarien verweilte. Unter solchen Umständen pflegte ich nicht viel zu sagen, doch habe ich mit Vergnügen zugehört, wenn er etwas erörterte, eine Situation kennzeichnete, eine Erfahrung schilderte. Dann schien er Humor zu haben, wie solcher auch aus mancher Gedichtzeile aufschimmert. Allerdings sah ich auch, dass er mit sich selbst im Unfrieden lebte. Das mochte eine Triebkraft seines Dichtens sein, für ihn daher notwendig, aber es gefährdete sein inneres Gleichgewicht und hat ihn schließlich aus diesem gedrängt.Er war - Sie entsinnen sich dessen, Sie sind dabeigewesen - kurz vor der Ausreise zu meiner Lesung ins Friedrich -Schiller - Kulturhaus gekommen, ernst, erregt, mit etwas flackerndem Blick, im langen dunklen Mantel und mit seinem rötlichen Bart ein wenig an Rübezahl erinnernd, wissend, es gehe um wichtige Entscheidungen in seinem Leben.All dies ungemein deutlich vor mir zu sehen, hätte es einer erneuten Lektüre seiner Gedichte nicht bedurft. Und doch haben sie zu dem Bild, das ich mir von ihm im Lauf von Jahren machen konnte, bezeichnende Striche hinzugefügt. Dass Sie dies vermittelt haben, die in seiner Nähe eine stille Vermittlerin war, im Zusammenleben mit ihm sicher vieler Zuneigung fähig und mit Langmut ausgerüstet, verdient meinen herzlichen Dank. Seien Sie von diesem und meiner Teilnahme versichert [...]."