Temeswar
Ich bin glücklich, behaupten zu können: Das höchstgelegene
Dorf in den Banater Bergen, Wolfsberg (1000 m), hat Zukunft! Gleich nach
der Wende waren die Verhältnisse in dieser Siedlung aussichtslos.
Man hatte sie schon aufgegeben und ihr einen tragischen Zerfall, ähnlich
wie in der Nachbarsiedlung Lindenfeld, die nun ganz verlassen und verfallen
ist, vorausgesagt. Doch in den letzten Jahren hat sich alles wieder zum
guten gewendet. Das konnte ich bei meinem letzten Aufenthalt nicht nur
äußerlich an den frisch getünchten und gestrichenen Häusern
festellen, sondern auch aus dem Gespräch mit den verbliebenen Wolfsbergern
erfahren. Die meisten Wolfsberger, die gleich nach der Wende ausgesiedelt
sind, haben ihre Häuser zu Spottpreisen verkauft - jetzt tut es ihnen
allen leid. Doch die Käufer, zumeist gutsituierte Intellektuelle und
Ärzte - Familien aus Temeswar und Reschitza, haben diese Häuser
renoviert und sie vor dem Zerfall gerettet. Zu begrüßen ist
es, da die architektonische Einheit des Dorfes - einmalig im Banater Bergland
- nicht zerstört wurde. Denn Platz genug gab es ja in den großen
Höfen und Gärten, wo die leeren Scheunen standen, da konnte man
ja anbauen oder erweitern und so wurden viele Scheunen zu Wohnhäusern
umgestaltet. Die Gassenfront blieb unverändert, und daran sollte man
auch in Zukunft denken. Erfreulich ist aber die Tatsache, daß Wolfsberger
die nach Deutschland ausgesiedelt sind, in den Sommermonaten immer wieder
in ihr Heimatdorf zurückkommen. Sie verbringen die Zeit aber nicht
als "Luftschnapper", so wie einst die Städter, die das ganze Jahr
hindurch hierher zur "Luftveränderung" kamen, sondern sie kommen,
um zu arbeiten, ihre Häuser und Höfe in Stand zu setzten, den
Garten zu pflegen. Nur spät am Abend finden sie ein wenig Zeit, um
auf dem Gassenbänkerl mit dem Nachbarn zu plaudern wie einst. Wenn
das Haus dann in blendend weißem Glanz wieder da steht und Tore und
Zäune grün und blau gestrichen sind, dann werden sie mit Schlössern
verhängt - ein Zeichen, daß der Eigentümer schon abgereist
ist. Früher gab es in Wolfsberg keine Torschlüssel, die Türen
am Haus waren niemals versperrt, das war hier jahrhundertalte Sitte gewesen.
Geht man durch die langgestreckte Dorfstraße, die sich auf dem Bergrücken kilometerweit hinzieht, kann man leicht erkennen, welche Häuser bewohnt sind und welche leer stehen. Die beliebten Geranien in den Fenstern zeigen den Vorübergehenden, daß hier noch Einheimische leben. Die roten Geranien, besonders üppig in den Blüten, schmückten einst jedes Fenster, und man wetteiferte, jede Hausfrau wollte die schönsten Fensterblumen haben, für Gartenblumen war der Sommer zu kurz. Jetzt sieht man sie nur selten, denn nur noch wenige Wolfsberger sind dageblieben und einige ältere Personen sind wieder zurückgekommen. Auch Hunde und Katzen sind schon eine Rarität geworden. Und die Gänsescharen, die einst von frühmorgens bis spätabends auf der Gasse, dem Bächlein entlang, herumwatschelten und schnatterten, sind auch nicht mehr da. Jetzt säumen die Autos den Wegrand. Was noch vom alten Straßenbild übrig blieb, ist die Kuhherde, doch auch sie ist sehr geschrumpft. Einst hatte jede Familie mehrere Kühe und 2 Pferde im Stall. Jetzt zählte ich jeden Morgen pünktlich um 7 Uhr 30 Kühe, die vom Hirten die Gasse hinunter getrieben wurden, abends um 19 Uhr kamen sie wieder herauf, nach einem langen Weg auf der Suche nach frischem Gras. Denn die Hügel um Wolfsberg wurden nicht mehr gemäht. Die Landschaft ist braun, das Heu wird nicht mehr gebraucht. Eigentlich schade, daß hier so viel Heu verlorengeht. Und wieviel Leben gab es einst auf diesen Hügeln zur Heuernte, da war das ganze Dorf mit groß und klein dabei. Und diesem Heugeruch schätzten wir Städter besonders. Und als Kinder lagen wir besonders gerne auf dem Heuboden. Damals kannten wir Kinder noch keine Allergien und Heuschnupfen. Auch die Felder und Gärten liegen brach, wo einst die dicksten und besten Kartoffeln und Rüben wuchsen. Die wenigen alten Leute können nur noch kleine Flächen in ihren Gärten bebauen, zum eigenen Gebrauch. Die Städter bringen sich zum Wochenende oder über den Sommer die notwendigen Lebensmittel mit herauf. In Wolfsberg wird zur Zeit viel renoviert, an fast jedem Haus wird gearbeitet. Die schmucke Kirche und das stattliche Pfarrhaus stehen bereits frisch hergerichtet in der Mitte des Dorfes und erwarten die Kirchweih, die man alljährigen im Oktober nach altem Brauch feiert. Das grosse stockhohe Schulgebäude und das Kulturheim werden überholt. In den 60er Jahren unterrichteten an dieser deutschen Allgemeinschule mit 8 Klassen 9 Lehrkräfte, jede Klasse hatte 30 - 40 Schüler. Jetzt sind noch 11 Kinder im Dorf, die Simultanunterricht bekommen. Das Schulgebäude soll in
Zukunft, in den Sommermonaten Schülergruppen aufnehmen, die ihre Ferien hier verbringen werden. Das Lehrerheim, eine stockhohe Berghütte mit ungefähr 40 - 60 Betten, wird vom Temeswarer Schulinspektorat und Sportzentrum verwaltet - hier ist ständiger Betrieb. Auch die Jugendherberge von Banat - JA hat 18 - 20 Betten bereit, doch muß sie noch gründlich saniert werden, um funktionsfähig zu sein. Hotel und Restaurant des Dorfes sind zwar in Betrieb, doch lassen sie viel zu wünschen übrig. Angenehm sind aber die Zimmer, die einige Hausbesitzer für Touristen eigens hergerichtet haben, so z.B. bei Familie Peczi auf Nr. 33 kann man wunderbar logieren und gegenüber bei der "Kreuzung" ist eine nette private Gaststätte mit leckeren und nicht zu teuren Speisen. Das Lokal hat sich ganz für den Touristenbetrieb eingestellt. Gute Bedingungen finden die Urlauber auch am Stausee bei den Drei Wässern vor. Hier finden auch alljährlich die Jazz - Konzerte statt mit Teilnahme bedeutender ausländischer Künstler. Dasselbe emsige Treiben konnte ich auch in der Nachbarsgemeinde Weidenthal feststellen. Kirche, Schule und Gemeindehaus stehen in neuem Glanze da, viele Häuser haben neue Dächer, man saniert überall, sowohl die neuen Besitzer als auch die Einheimischen, die zwar ausgeflogen sind, sich aber für das Alter hier einen Zufluchtsort erhalten möchten; denn viele hegen den Wunsch, im Rentenalter zurückzukommen. Was mich aber besonders erfreut, ist die Feststellung, daß ein alter Plan, den schon Julius Podlipny hegte, nun Wirklichkeit werden konnte. Wolfsberg wurde in den Jahren 1950 - 1965 für den Maler eine Zufluchsstätte; hier verbrachte er mit seinen Schülern die Sommermonate beim "Landschaften". Denn "nirgends ist die Landschaft so vielfältig, sind die Farben so klar und die Luft so rein wie in Wolfsberg", behauptete der Meister stets. Und am Ende dieses Praktikums brachten die Schüler volle Mappen mit Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder und unzählige Skizzen mit nach Hause; doch nicht nur Landschaften, sondern auch ausdrucksstarke Porträts dieser von Wind und Wetter und harter Arbeit geprägten Menschen und ihre Umwelt wurden festgehalten. Der Meister Prof. Julius Podlipny schöpfte hier Inspiration zu seinen schönsten Landschaftsbildern. 1962/63 mietete er sich in Wolfsberg ein Haus, um das ganze Jahr hindurch hier arbeiten zu können; es war ein besonders reiches Schaffensjahr. Der Professor und seine Schüler wurden Stammgäste des Dorfes, wo sich alljährlich eine "Freie Malschule" entfaltete. Sein Plan war, aus Wolfsberg eine
Malerkolonie werden zu lassen, wie es einst Baia Mare im 19. Jh. war. Und so war es auch kein Zufall, daß nach der Wende, als man hier billige Häuser kaufen konnte, vor allem die einstigen Schüler von Podlipny - heute namhafte Künstler des Banats - sich die Häuser erwarben. So sind es bereits 15 Künstlerfamilien, die sich in Wolfsberg und Weidenthal Häuser gekauft haben und hier eine rege künstlerische Tätigkeit entfalten. Im Sommer finden alljährlich Schaffenslager für Malerei in Weidenthal statt, wo die Maler Constantin Flondor, Viorel Toma, Doru Tulcan aus Temeswar, Constantin Rãducanu aus Lugosch und eine Gruppe von Malern aus Reschitza und Bukarest aber auch aus Deutschland, Griechenland teilnehmen. Die Künstler haben in ihren Häusern Ateliers eingerichtet. So auch die Künstlerfamilie Tulcan die bildende Künstler aus Temeswar und Klausenburg aber auch Griechenland zu sich geladen hatten, um hier in Weidenthal zu arbeiten. Die Bilder wurden im geräumigen und geschmackvoll ausgestatteten Atelier ausgestellt. Doru Tulcan konnte bei meinem Besuch 35 - 40 Ölgemälde vorzeigen, die er hier schuf. Es sind zum Teil stimmungsvolle Landschaften, die Weidenthal und Umgebung darstellen, aber auch symbolträchtige Kompositionen in düster - dramatischer Farbegestaltung, die er im November in Temeswar in einer Eigenausstellung zeigen wird. Seine Gravüren will er in einer Ausstellung zusammen mit seiner Frau, die Glasobjekte schöpft, zeigen. Für das nächste Jahr plant das Künstlerehepaar in ihr Weidenthaler Atelier auch
ausländische Künstler einzuladen, es werden Künstler aus Griechenland kommen.
In Wolfsberg hat sich der Banater Bildhauer Bata Marianov, der seit einigen Jahren in Deutschland lebt, ein Haus und ein Grundstück gekauft, wo er ein Sommerlager für Bildhauer einrichtete. Bildhauer aus Deutschland, Frankreich dem ehemalige Jugoslawien und Bukarest hatte er für die Sommermonate nach Wolfsberg eingeladen, um hier Monumentalwerke aus Holz zu schaffen für den Skulpturenpark. In Zukunft plant man auch eine "Freie Akademie" für Malerei und Graphik einzurichten, wo Studenten und Schüler sich in den Sommermonaten weiterbilden können. Es sind wunderbare Pläne, die Bata Marianov zusammen mit seinen Künstlerkollegen in Wolfsberg verwirklichen möchte. Künftig will man auch Ausstellungen ermöglichen, und man spricht von einem kleinen Museum, das hier mal entstehen könnte. Ein rumänisches Sprichwort heißt: "omul sfinteste locul". Das trifft auch auf Wolfsberg zu. Was einst Jakob
Weinfurter für den Touristenverkehr in Wolfsberg jahrzehntelang geleistet, was Julius Podlipny für die künstlerische Entwicklung einst begonnen hat, wollen nun seine Schüler gemeinsam weiterführen und die Siedlung der Deutschböhmen wieder zu neuem Glanz erstehen lassen. Wolfsberg und Weidenthal werden nicht nur in der einheimischen Kunstszene eine Rolle spielen, sondern werden ihre Widerspiegelung auch in Werken europäischer Künstler erfahren und somit der Nachwelt durch die Kunst erhalten bleiben.