Stimme des Banater Berglands

 

Alexander Tietz und seine Landschaft

 

von Hans Liebhardt


Bukarest
Sein Interview mit Alexander Tietz hatte der Schriftsteller und Publizist Franz Heinz - lange Zeit hindurch mein Kollege in der Kulturabteilung des "Neuen Wegs" - im März 1969 gemacht, der Professor wohnte damals schon nicht mehr auf dem Driglowetz, sondern im dritten Stock eines Neubaus in der Lunca Bârzavei. Für das Thema, dem ich heute nachgehe, ist folgende Stelle aus dem Bericht aufschlussreich: "Der Professor legt etwa ein dutzend grossformatiger Hefte auf den Tisch: Gedanken zum Thema Mensch und Erscheinungswelt. Versuche zu einer Philosophie der Landschaft, über das Geheimnis der Kommunikation zwischen Mensch und Landschaft; Betrachtungen eines skeptischen Naturfreundes, der sich die Frage des Erlebnisses stellt, dessen Wahrheit und Erfahrung. Und hier wieder fragt nicht nur der Wanderer, sondern auch der Volkskundler. Dabei ist der letztere nicht selten in der Lage zu antworten, denn sein Wissen ist die Erfahrung von Generationen". Ich weiss nicht, was aus diesen 12 Heften mit der Naturphilosophie des Alexander Tietz geworden ist. Wir hatten Kenntnis von diesen philosophischen Versuchen des Professors, und ich will im nachhinein weder uns noch die vergangenen Zeiten beschuldigen. Bei der Monopolstellung jedoch, die damals der sogenannte dialektische und historische Materialismus - in den letzten Jahren immer mehr in seiner einheimischen Vulgärvariante - in Rumänien einnahm, ist es nicht verwunderlich, dass für diese Naturphilosophie öffentlich kein Platz vorhanden war. Das kann einem im nachhinein leid tun, viel ändern lässt sich daran vorläufig nichts. Umso erfreuter war ich über eine Entdeckung: Bei den "Briefen von der Alm" handelt es sich um eine erste Fassung der Naturphilosophie des Alexander Tietz. Die "Scrisori de la sãlas" hatte der Professor auf Rumänisch für die Zeitschrift "Resita" geschrieben, die von George C. Bogdan herausgegeben wurde, die 13 Briefe sind dort von April bis Oktober 1939 erschienen. Die Tochter des Herausgebers, Doina Bogdan - Dascãlu, heute Hochschullehrerin in Temeswar und mit Alexander Tietz auch durch dessen erste Frau, Stella Simic, verwandt,

hatte die Sammlung aufbewahrt, die Texte waren in dem von Erwin Josef Tigla herausgegebenen Band "Alexander Tietz si Banatul Montan" (Timpul Verlag, Reschitza) wiederveröffentlicht worden. Nun liegt es auf der Hand, dass ich von diesen Texten gleich derart fasziniert war, dass ich Erwin Josef Tigla sozusagen eine "Rückübersetzung" der Texte ins Deutsche vorgeschlagen habe, so ist dann das zweisprachige Büchlein entstanden, das heute lanciert wurde. Ich habe mich seit vielen Jahren mit Alexander Tietz beschäftigt, zumindest seit 1955, als wir angefangen haben, die Aufstellungen mit Märchen oder Geschichten aus den Sammlungen von Alexander Tietz in der Kulturbeilage des "Neuen Wegs" abzudrucken, als es auch einen ständigen Briefwechsel mit dem Professor gab - die Texte, die ich aufbewahrt hatte, sind inzwischen in dem Band "Alexander Tietz und seine Welt" (1998) erschienen. So ist es gekommen, dass ich vielleicht mehr als andere in die Denkmuster und die Art des Schreibens von Alexander Tietz eingedrungen bin: Er hatte etwas von der Art eines Volkserzählers an sich, er wiederholte Dinge, die ihm besonders wichtig schienen oder besonders gut gefielen, er wandelte sie ab. Stellen, die ich aus den Briefen oder Manuskripten kannte, tauchten dann z.B. in der einführenden Studie zu seiner Standartsammlung "Wo in den Tälern die Schlote rauchen" (Literaturverlag Bukarest, 1967) wieder auf. Dadurch soll nun nichts Abschätziges gesagt werden, es ist bloss ein zusätzlicher Beleg für meine Behauptung, dass wir es bei den "Briefen von der Alm" mit einer ersten Fassung der Naturphilosophie von Alexander Tietz zu tun haben können. "Die örtlichen Geister unserer Region sind keine Titanen und keine Satyre´ sie werfen keine Berge übereinander, sie verbreiten keine Angst oder Panik; ich stelle sie mir als freundliche, fröhliche Dämonen vor, die die Menschen lieben - vielleicht sind es schöne Göttinnen. Gewiss sind es keine Titanen, denn allen diesen malerischen Winkeln (...) fehlt die Grösse. Es fehlen die weitausholenden Linien, die endlosen Horizonte, die wilden Berge..." Diese Stelle aus dem V. Brief, "Über den Genius loci" war fertig übersetzt, das Buch in der Druckerei, als ich in der ersten Ausgabe des Reisebuchs "Komm mit" (Neuer Weg Verlag Bukarest, 1970) auf den Beitrag "Gegend der malerischen Winkel" von Alexander Tietz gestossen bin; Georg Hromadka hatte den Text aus einem 1957 vom Professor gehaltenen Vortrag abgedruckt: "Die Täler bei uns sind eng, die Hänge steil, die Formen rücken zusammen: Es fehlen dem Landschaftsbilde die weit geschwungenen Linien. Nirgend hat man den Eindruck

des Erhabenen, des erdrückend gewaltigen. Nichts trägt den Blick hinaus ins Unendliche, Weite: die Landschaft hält ihn in freundlicher, idyllischer Beschränktheit gefangen. Wollte man die Eigenart unserer Landschaft mit einem einzigen Ausdruck bezeichnen, könnte man sie als die Gegend der malerischen Winkel definieren". Die Ähnlichiet der Überlegungen liegt auf der Hand. Ich will nun keinesfalls behaupten, dass Alexander Tietz seine Philosophie aus Büchern geschöpft hätte. In den Briefen tauchen zwar einige Namen auf - sagen wir Hölderlin oder Rilke -, ich kann jedoch einen Augenzeugen zitieren, der sich die Bibliothek von Alexander Tietz angesehen hatte. Der Schriftsteller Andreas A. Lillin erzählt von seinem ersten Besuch bei Alexander Tietz, das war 1956, der Text erschien 1982 in der "Neuen Banater Zeitung": "... Ich erhob mich und nahm seine Bibliothek in Augenschein. Was es da an Herrlichkeiten alles gab! Von Platon und Aristoteles bis Husserl und Heidegger, die Philosophen. Von Aischylos bis Carl Hauptmann und Ernst Barlach, was auf dem Gebiete der Bühnenkunst bahnbrechend gewesen. Von Dehmel und Liliencron bis Rilke und Benn die moderne Lyrik. Dessoir, Volkelt, Utitz, Riegl, Justi, Wölfflin, Worringer und Müller-Freienfels vertraten die Ästhetik und Kunstgeschichte. Also stimmte der Satz, den man mir als Kind eingeprägt: `Schau dir die Bibliothek eines Mannes an, und du wirst wissen, mit wem du zu tun hast`". Es ist also nicht ganz sinnlos, eventuellen schriftlichen Quellen im Schaffen von Alexander Tietz nachzugehen. Doch: Gebildete Menschen gibt es viele - man will das zumindest annehmen -, was die Originalität eines Künstlers oder Philosophen ausmacht, das geht darüber hinaus. Mir will es scheinen, dass dies bei Alexander Tietz der Fall ist, auch bei den "Briefen von der Alm". Ich kenne mich bei der deutschen Wandervogel-Bewegung nicht genug aus; eine erste derartige Vereinigung war 1901 in Steglitz gegründet worden, es ging um die "Pflege des Wanders bei naturgemässer Lebensweise, des Volksgesangs zur Zupfgeige, der Volkstänze und jegendlicher Lebensformen bei grossen Fahrten, im Landheim und Stadtnest" - wie das Kolomon Stieger in "Banater Berglanddeutschen" (München-Wien, 1995) zusammengefasst hat. Derselbe Autor erzählt, dass ein Wandervogel 1923 Reschitza besuchte, man stieg auf den Kreuzberg hinauf und bald darauf habe Alexander Tietz - damals Deutschlehrer - die Wandervogel-Gruppe in Reschitza gegründet, der etwas 50 Jugendliche im Alter von 12 - 16 Jahren angehörten. Anfang der dreissiger Jahre habe diese

Bewegung in Reschitza ihren Höhepunkt erreicht. Weil wir damit aber dem Zeitpunkt des Erscheinens der "Briefe von der Alm" schon stark in die Näge gerückt sind, noch eine Stelle aus diesen Erinnerungen: "Jedes Wochenende gingen wir auf Fahrt. Viele Samstage und Sonntage verbrachten wir in der freien Natur. Im Sommer schliefen wir im Zelt oder im Freien unter Bäumen. Gekocht wurde draussen. Grossen Wert legten wir darauf, den Platz, wo wir gelagert hatten, sauber zurückzulassen". Hinzukommen muss jetzt nur noch der eigene Salasch des Ehepaars Alexander und Stella Tietz, die beiden hatten 1938 in Temeswar geheiratet, und die Nichte, Doina Bogdan - Dascãlu, beschreibt die Sache so: "Ich muss festhalten, dass der Salasch, bevor er zu einem literarischen Begriff geworden ist, in den ersten Jahren des Ehepaars Alexander und Stella Tietz tatsächlich existiert hat. Er befand sich auf dem Ghica - Berg und diente den beiden als Sommerzuflucht, da sie die Einfachheit und den Zauber der wahren Natur liebten". Diese Aufzeichnungen heissen "Stimme des Banater Berglands" und nicht "Sprache des Banater Berglands". Mit Sprache ist etwas anderes gemeint. Georg Hromadka, mit dem wir zeitweilig Kollegen beim "Neuen Weg" waren, hat sich immer wieder auch mit der Geschichte seiner Landsleute, der Banater Berglanddeutschen, beschäftigt. Einen frühen Aufsatz diesbezüglich habe ich im "Neuen Weg" - Kalender gefunden, wo auch von der Sprache die Rede ist: Mehr als neunzig Prozent der Berglanddeutschen sprechen eine bairische (bairischösterreichische) Mundart, schreibt Hromadka. Reine Mundart wird eigentlich nur noch in den "Böhmerdörfern" am Semenik gesprochen. Ansonsten habe sich ein Gemisch von steirischen, böhmischen und anderen bairischösterreichischen Sprachelementen durchgesetzt, mit leichtem rumänischen und tschechischslowakischen Einschlag. Tonangebend sei in dieser Hinsicht die Sprache der Reschitzaer, das "Reschitzaerische", das sich zur Umganssprache der Berglanddeutschen entwickelt habe. So sage man auf Reschitzaerisch: Sieb´n Sprachen re´t er - aber alli deitsch! Ähnliche Überlegungen hat auch Alexander Tietz des öfteren angestellt, u.a. in der Einleitung zu "Wo in den Tälern die Schlote rauchen". In dem Absatz, den ich so gerne zitiere, ist jedoch von etwas anderem die Rede, von der Sprache als Mittel der Kunst: "Der Handwerksmann, der Mann der schweren Handarbeit, ist fest in der Wirklichkeit verwurzelt; die Maschine des Arbeiters läuft nie leer, seine Arbeit hat immer einen unmittelbaren, mit den Händen greifbaren

Sinn. Diese Verwurzelung des Arbeiters zeigt sich auch in seiner Redeweise, in seinem Sprachstil. Der augenfälligste Wesenzug seines Erzählens ist der Realismus, die Sachlichkeit, die genaue Beobachtung und sachgetreue Wiedergabe der Wirklichkeit, seine innige Vertrautheit mit den Dingen seiner unmittelaren Umgebung". Ähnlich hat Alexander Tietz seine eigene Literatursprache geschaffen, man fühlt sich immer wieder an Wilhelm Grimm erinnert, ganz gleich, ob volkstümliche Erzählungen wiedergegeben werden oder ob es sich um eigene Betrachtungen des Professors handelt. Bei den "Briefen von der Alm", die ja Rumänisch geschrieben wurden, kommt noch etwas hinzu: Ich war von Anfang an von der Poesie und Plastizität der Sprache begeistert, die hier eingesetzt wird, dem ungewöhnlich reichen rumänischen Wortschatz, mit dem Tietz gearbeitet hat, nicht umsonst stammte der Professor - von der rumänischen Seite her - aus einer Enzyklopädistenfamilie; in den Jahren 1889 - 1904 hatte der Grossvater, Cornel Diaconovici, die erste rumänische Enzyklopädie (drei Bände) in Hermannstadt herausgebracht. Der Aufbau der Sätze ist jedoch deutsch, und so war es beim Übersetzen nicht allzu schwer, wieder in den deutschen Tonfall zuräckzufinden, ich habe das wenigstens versucht. Um aber die "Stimme" des Banater Berglands - wenigstens andeutungsweise - begreifen zu können, noch einmal eine Zusammenfassung aus dem von Alexander Tietz 1957 gehaltenen Vortrag: "Betrachten Sie nur unsere unmittelbare Umgebung, die Umgebung von Reschitza, etwa mit dem Kreuzberg als Mittelpunkt. Gegen Norden, gegen Târnova und Sotschan zu, haben wir ein kahles, grünes, welliges, mit Salaschen besprenkeltes Hügelland, das, von der Höhe gesehen, einer erstarrten See gleicht. Hier findet man im lehmigen Boden die vielen versteinerten Meermuscheln. Nach Osten, gegen die Munte, den Semenik zu, erheben sich reichbewegte waldige Höhen mit rauschenden Wassergräben, dunklen Tannen und saftiggrünen Wiesen - es ist die Franzdorfer Gegend -, während uns im Süden, gegen Karaschowa, eine typische Karstlandschaft entgegentritt, mit wild zerklüfteten Felsen, trichterförmigen Löchern, Dolinen, Bächen, die Verstecken spielen, Steinfeldern, Grotten und Höhlen und einem tief in den Kalkstein eingekerbten Canon, der Karasch-Schlucht. Und alle diese landschaftlichen Gegensätze sind auf einen kleinen Raum zusammengedrängt, so dass unsere Umgebung wie eine Musterkarte der verschiedenen Geländeformen wirkt". Geheimnis und Tiefe kann jedoch überall vorhandensein, so wie auch das Denken überall möglich ist, wenn einer nur

die Kraft und Geduld dazu aufbringt. Ich würde sogar sagen, dass Alexander Tietz in Reschitza und im Banater Bergland dafür ungewöhnlich günstige Voraussetzungen gefunden hatte. Mir scheint es, dass ohne industrielle und städtische Zivilisation der Blick des Menschen für die Natur gar nicht geschärft wird. Als wir einmal in Herkulesbad waren und mit dem "Trabant" immer weiter die Strasse hinauf gefahren sind, fragten wir einen Menschen, was jetzt komme. "Padure, nichts als padure" war die Antwort, uns aber erschien das nicht so. Umso tiefer muss Alexander Tietz die Banater Bergwelt erlebt haben. Hinzunehmen muss man die Naturerfahrung der Leute, die sich schon immer hier aufgehalten haben, und für die jeder Fels oder Strauch eine Geschichte bedeuten konnte, eine Geschichte, die eben mit rumänischen oder mit böhmischen Anklängen erzählt wurde. Wie hat Alexander Tietz seinen Zyklus "Briefe von der Alm" geschrieben. Er erzählt an einer Stelle: "Meine Frau will um Wasser gehen. Ich nehme ihr Küber aus der Hand und laufe zum Brunnen. Das Steglein führt steil hinab. Ich gehe am grossen Birnbaum vorbei, dem Wächter unseres alten Salasch, laufe durch den Klee und schon bin ich beim Brunnen. - Ich habe Wasser aus dem Brunnen geschöpft und damit auch eine Idee aus meiner eigenen Tiefe. Mit dem frischen Wasser schleppe ich auch die Idee ins Haus - den Einfall für diesen Brief". Ich denke, selten hat ein Autor oder Dichter den Quell seiner Inspiration so gut beschrieben. Soweit ich es beurteilen kann, geht es in den naturphilosophischen Betrachtungen von Alexander Tietz meist um mytische Wahrheiten, etwas um diese, in der Geschichte mit den zwei Zigeunern bei der Kalten Quelle im Doman - Tal: "Vater, woher kommt die Quelle? fragte der junge Zigeuner. Alle Gewässer kommen aus Palästina, erwiderte der Alte ohne jedes Zögern". Was Alexander Tietz aber selber meint - auch wieder auf diesen Unterschied zwischen lärmender menschlicher Sprache und der Stimme der Landschaft bezogen - kann man im IV. Brief erfahren: "Du stehst neben der Karasch und betrachtest das Glänzen der Wellen ... das Wasser murmelt ... plötzlich verstehst du die Stimme der Karasch ... es darf nur Friede in dir sein ... du musst alle anderen Stimmen zum Schweigen bringen ... der Fluss spricht nicht in Phrasen ... trotzdem hat er seine Stimme, die du in einem Augenblick der Gnade vollauf begreifen

kannst". Es geht nicht in allen "Briefen" gleich hochgestochen her, denn ein derartiges Jubeln in höchsten Tönen könnte keiner aushalten. Alexander Tietz ist Dichter und Erzähler genug, um auch alle möglichen Geschichten und Beschreibungen einzuschalten, oft auch mit dem entsprechenden Schuss Humor. Auch bei derart heiligen Begriffen wie "Heimat" und "Heimweh". Der Autor verweist an einer Stelle darauf, dass gewisse Speisen zum Nationalcharakter gehören; etwa Sauerkraut zum Deutschen, Makkaroni zum Italiener. Während der k.u.k. - Zeit seien die Siebenbürger Rumänen, die als Soldaten dienten, oft vor Heimweh fast gestorben. Wenn sie aber von zu Hause ein Säckchen Maismehl erhielten und sich daraus einen Palukes kochen konnten, verging ihnen die Krankheit. Weil wir aber schon bei diesem heiklen und oft überstrapazierten Begriff "Heimat" angelangt sind, lese ich aus dem "Sentimentalen Wörterbuch Deutsch - Rumänisch" die Stelle vor, in der Alexander Tietz eine Definition versucht: "Heimat ist der Boden, wo du deine Wurzeln hast, der Busen und die Wiege deines Wesens; die Landschaft, in der du lebst und die in dir lebt; das Fleckchen Erde, dessen Gesetze du in deinem Blut trägst; die Hügel, deren Rhytmus im Rhytmus deines Herzens fortgesetzt wird - die Stadt, die Berge und Täler, die du liebst. - Heimat ist ein Wort voller Musik. Eine feine, liebliche Melodie schwingt in diesem Wort. In diesem Wort singt stets eine Sehnsucht". Ich will nun nicht meinen, dass Alexander Tietz - und das wäre absolut ungerecht - die Natur immer der vom Menschen geschaffenen Landschaft entgegengestellt hätte. Dazu war er schliesslich der Zivilisation, in die wir nicht zuletzt auch in dem Geschichtsbuch von Karl Ludwig Lupsiasca "Dieses von Natur aus reiche Land" Eindrücke erhalten noch und noch, auch in die ganze Kompliziertheit des Aufbaus einer industriellen Landschaft. Als Beleg für meine Behauptung zitierte ich aber nur eine einfache Beschreibung von Alexander Tietz: "Das Abendessen nahmen wir in dem alten Bergstädtchen ein, auf der Terrasse eines Wirtshauses. Die Häuserreihen dort sind - eine über der anderen - an den steilen Berghang geklebt und hohe Stiegen führen kreuzweise zu den hängenden Gärten. Zwischen Weinlaub beleuchtete eine Petroleumlampe, die an einem Pfosten hing, unsere kleine Gruppe, die um den Tisch sass. Es war Vollmond. Von der hohen Terrasse sah man die schwarzen Umrisse der riesigen Berge und zwischen ihnen, dort wo die Linien der Berge sich vereinen, strebte der Barockturm der alten Kirche der Scheibe des Mondes entgegen". Ich will nun den Aberglauben, von dem es ohnedies

genug auf der Welt gibt, nicht unnötig vermehren. In den "Briefen" gibt es immer wieder Äusserungen des Autors gegen die rein technische Zivilisation, das Haus als "Wohnmaschine", die Kälte der elektrischen Binne im Vergleich zur anheimelnden Petroleumlampe, das Überziehen der Landschaft mit Asphaltstrassen und Skilifts, das Mechanische, das überhand nimmt. Als der Professor im Juni 1978 aus seinem Wohnblock getreten war - Gertrud Küchler hat mir das immer erzählt - wurde er von einem Auto erfasst und an den Folgen dieses Unfalls ist er gestorben. Ich will das nicht als eine Rache des Mechanischen am Lebendigen und am Künstlerischen begreifen. Vor der Familiengruft hielt damals Paul Lackner die kirchliche Trauerzeremonie, es gab Ansprachen von Hans Kehrer, Mircea Serbãnescu und Georg Hromadka. Etwas anders soll jedoch am Schluss dieses Vortrags stehen, wieder ein Bild aus den Bergen, die Zweige der Platane, die sich vor dem blauen Himmel wiegen. Alexander Tietz: "Ich betrachte die Wolken, die vorüberziehen, und auf einmal bin ich eine Beute der Wolken - ich habe mich in den Wolken verloren - ich versinke mit ihnen in leichten Wellen". Und noch ein Satz des Professors, der uns zum Titel unserer Auszeichnungen zurückführt: "Den wahren Besitzer der Erde geben nicht die Grenzsteine an; die Erde gehört demjenigen, der ihre Stimme versteht".